Rheingold
erwartet. Gudrun wird dich vor der Halle begrüßen.«
»Es ist also wahr, daß du Fafnir erschlagen und seinen Hort erbeutet hast?« fragte Krimhild. Ihr dunkelroter Umhang streifte den Stein, als sie neben ihren ältesten Sohn trat und zu Sigfrid aufblickte. Auf Sigfrid wirkte sie nicht größer als eine Schwalbe, aber trotzdem empfand er ihre Anwesenheit wie eine dicke hohe Steinmauer, die ihm den Weg versperrte. »Ja, es ist wahr«, erwiderte er stolz, »und so kann ich Otturs Wergeld hier in das Land von Gebikas Sohn bringen, um...«
»Dann hast du eine Heldentat vollbracht, die durch nichts übertroffen werden kann!« unterbrach ihn Krimhild schnell, bevor er die Worte aussprechen konnte, die ihm auf der Zunge lagen. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und führte ihn den mit Bäumen gesäumten Weg zu der römischen Burg hinauf, die mächtig und majestätisch über dem Rhein stand. »Komm, Sigfrid, deine Verlobte erwartet dich.« Er hätte ohne weiteres ihre Hand abschütteln können, aber Sigfrid wußte, es wäre sehr unhöflich von ihm gewesen, sich auf diese Weise der eisigen Berührung der Burgunderkönigin zu entziehen. Eine zierliche junge Frau in einem weißen Kleid stand vor dem Torbogen. Die langen honigbraunen Haare waren mit hellgrünen Blättern und rot blühenden Ranken geschmückt. Sie hielt ein gläsernes Trinkhorn mit weißen und blauen Verzierungen, in dem grüner Wein schimmerte. Sigfrid erinnerte sich an den goldenen Knauf von Gudruns Dolch mit den roten Granaten und Smaragden. Erst dann erkannte er sie wieder.
Gudrun sah in Sigfrids himmelblaue Augen, in denen sich ein dunkler See zu spiegeln schien. Sie wich seinem Blick aus, ohne sich abzuwenden, und atmete schnell, als habe sie Angst. Der leicht nasale Klang ihrer Stimme wurde beinahe schrill, als sie die rituellen Grußworte sprach.
»Willkommen, Sigfrid, Sigmunds Sohn! Sei willkommen in der Halle der Gebikungen. Gebikas Tochter entbietet dir den Gasttrunk.« Sigfrid nahm ihr das Horn aus der Hand und hob es hoch. Die Sonnenstrahlen fielen golden durch den grünlichen Wein. Er sah sofort das eindeutige Phosphoreszieren von Gift, und er spürte die Warnung vor dem gefährlichen Trank in seinem ganzen Körper. Verblüfft sah er Gudrun an. Aber mit Sigidrifas Sicht erkannte er ihre glasklare Seele, die frei war von allem Verrat. Das muß also Krimhilds Werk sein, dachte Sigfrid, erinnerte sich an Regins Warnung und wußte, daß Krimhild - Lofanhaids Tochter - den Trank vergiftet hatte, um Otturs Wergeld für sich zu gewinnen.
Aber Sigfrid fürchtete sich nicht. Er brauchte keine der Runen, um diesen Trank unwirksam zu machen. War er nicht Sigmunds Sohn, in dem die Kraft seines Vaters weiterlebte, dem Gift weder von innen noch von außen schadete? Sigfrid konzentrierte sich auf die besänftigenden Worte, mit denen er die Nachricht überbringen wollte, daß er Gudrun nicht heiraten würde.
»Dieser Trank soll Frieden und Ehre zwischen unseren Sippen bringen!« rief er halb sprechend, halb singend. Er spürte das goldene Licht seiner Kraft unsichtbar mit dem Klang seiner Stimme aufstrahlen. Sigfrid vertraute dem Schutz der Wälsungen, hob den Kopf zur Sonne und leerte das Horn mit Krimhilds Trank. Eine Welle der Benommenheit stieg in ihm auf. Er fühlte, wie sein Herz heftig zu schlagen anfing. Sein Atem wurde schneller, als er Gudrun ansah. Er blinzelte, um die hellen Funken vor seinen Augen zu vertreiben, aber er konnte plötzlich den Blick nicht mehr von Gudrun wenden. Seine Hände zitterten, als er ihr das Trinkhorn zurückgab. Die leichte Berührung ihrer Fingerspitzen durchzuckte ihn wie ein Blitz. Gudrun schien ihn erschrocken anzusehen und wurde unter seinen glühenden Blicken über und über rot. Ihre Brüste hoben und senkten sich, während in Sigfrid das Feuer der Leidenschaft entflammte. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich zu beherrschen und sie nicht auf der Stelle in seine Arme zu reißen. Die Kehle schien ihm wie zugeschnürt, und er brachte kein Wort mehr über die Lippen. Deshalb flüsterte er nur kaum hörbar: »Sei gegrüßt, meine Verlobte.«
»Du hast einen langen Weg hinter dir, Sigfrid«, sagte Krimhild und trat schnell zwischen ihn und ihre Tochter. »Komm herein. Du solltest etwas essen.«
»J... ja«, stotterte Sigfrid. Er wollte Krimhild und Gudrun in die Halle folgen, als Hagen fragte: »Was soll mit deinem Pferd geschehen, Sigfrid?« Unentschlossen blieb Sigfrid stehen und blickte von Gudrun zu Grani. Dann
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