Rheingold
schlug ihm Gunter auf die Schulter und sagte lachend: »Meine Schwester hat sechs Jahre auf dich gewartet. Ich glaube, jetzt wird sie dir nicht mehr weglaufen.«
Verlegen nahm Sigfrid wieder Granis Zügel und folgte Hagen zu den Stallungen. Er ging zu einem leeren Stall, der größer war als alle anderen. Auf dem Boden lag frisches Stroh, und der Futtertrog war mit Hafer gefüllt.
»Der Stall ist für dein Pferd«, sagte Hagen, »mein Bruder hat ihn für deinen Hengst bauen lassen, damit er einen angemessenen Platz hat, wenn du zu uns kommst. Gefällt dir Gudrun?« »Natürlich gefällt sie mir«, erwiderte er eifrig, »ich habe noch nie eine schönere Frau gesehen... ich könnte mir keine andere ... vorstellen, die ich heiraten möchte...« Er brach wieder verlegen ab, denn zum ersten Mal hatte die Leidenschaft seinen Körper entflammt, und er fühlte sich ungewohnt hilflos. Sein Herz schlug schnell, und sein Kopf war benommen. Er konnte nur noch an Gudrun denken, spürte die leichte Berührung ihrer Fingerspitzen, sah das von der Blütenkrone geschmückte Gesicht und die lockigen goldbraunen Haare. Jeder Atemzug, jeder Gedanke zerrte an seinen Kräften. »Geht es dir nicht gut?« fragte Hagen und musterte Sigfrid aufmerksam.
»Mir... mir geht es gut. Ich hatte nur vergessen... ich wußte nicht, daß sie so...«
»Ich hoffe, du wirst viel Freude an deiner Hochzeit haben.«
Hagen hielt die Stalltür auf, damit Sigfrid den Hengst hineinführen konnte. Zusammen lösten sie die Gurte der Satteltaschen. Sigfrid sah, wie Hagen unter dem Gewicht schwankte, einen hochroten Kopf bekam, und das Leder unter der Last aufplatzte. Als sei ein Damm gebrochen, ergoß sich ein goldener Strom auf den Boden, der kein Ende nahm. Sigfrid starrte mit offenem Mund auf das viele Gold, das sich plötzlich in dem Stall türmte. Er wußte nicht, daß er das alles in die Satteltaschen gefüllt hatte. Das war Fafnirs Hort bis auf den kleinsten Ring. Wie war es ihm und Grani gelungen, diese Last zu tragen? »Du kennst also Lokis Geheimnis«, sagte Hagen, »weißt du auch, wo er sich jetzt vor dem Zorn der Götter versteckt?«
»Was redest du? Ich weiß nichts ...«
»Wie hast du dann das viele Gold in die Satteltaschen gefüllt?«
»Das weiß ich nicht«, wiederholte Sigfrid und schüttelte benommen den Kopf. Unter dem Eindruck verschwommener Erinnerungen dachte Sigfrid: Das muß Lokis Werk sein... hat er den Drachen getötet? ... er hat...
Stöhnend murmelte Sigfrid: »Regin hat mit Gift meine Schmerzen gelindert.«
»Gift raubt oft auch die Erinnerung«, sagte Hagen leise. »Hast du etwas Seltsames gesehen? Weißt du noch, was es war?« Sigfrid dachte nach, aber er erinnerte sich nur an eine Flamme, die ihm in der Höhle wie ein feuriges Wesen erschienen war. »Ich weiß noch, daß Grani in den Rhein gesprungen ist, und ich habe den Fährmann gerufen...« Sigfrid hörte wieder die spöttische Stimme, die auch aus dem Feuer des Sinwist gesprochen hatte. »Er hat uns zum Drachenfels gebracht und mir das Floß zurückgelassen. Aber gesehen habe ich ihn nicht.«
»Vermutlich ist er den Göttern entkommen und noch frei«, sagte Hagen nachdenklich und schwieg.
Sigfrid lachte plötzlich und rief: »Wenn er nichts gegen meine Hochzeit unternimmt, dann soll es mir recht sein. Wann soll die Hochzeit sein? Habt ihr den Tag bereits bestimmt?«
»Darüber mußt du mit Krimhild sprechen. Mit mir redet man selten über solche Dinge.«
»Bist du... ich glaube, Gunter hat gesagt, du bist verlobt. Hast du schon geheiratet?«
»Ja.«
»Wie ist es? Ich meine, kannst du... kannst du mir sagen, wie es ist?«
»Die Frowe Costbera wird wenige Wochen nach der Mittsommernacht gebären«, erwiderte Hagen. »Was sonst gibt es darüber noch zu sagen?« Als Sigfrid ihn auffordernd ansah, fügte er hinzu: »Sie ist Christin. Es gibt mehr Anhänger des neuen Gottes als früher. Ist dieser Glaube auch schon bei euch verbreitet?« »Nein. Ein paar römische Knechte sind Christen oder solche, die Römern dienen.«
Hagen nickte und deutete dann auf das Gold. »Was sollen wir damit machen?«
Sigfrid erwiderte: »Wir lassen es hier liegen. Grani kann es bewachen.«
Hagen runzelte die Stirn. »Ich wußte nicht, daß die Alemannen ihre Pferde als Wächter abrichten«, sagte er. »Bist du sicher? Ich kann hier wachen oder ich schicke vertrauenswürdige Krieger, wenn dir das lieber ist.«
»Grani weiß, was er tun muß«, wehrte Sigfrid ab und fuhr dem Hengst
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