Rheingold
ich kann«, erklärte Hagen und stand auf. Sigfrid erhob sich ebenfalls. Theoderid seufzte, als er Sigfrids Blick schließlich auswich.
»Ich habe Lieder von Sigfrid, Sigmunds Sohn, gehört, den man jetzt den Drachentöter nennt«, murmelte der Gote so leise, daß Sigfrid nicht sicher war, ob er die Worte wirklich gehört hatte oder ob sie nur eine Einbildung waren. Der Wind kräuselte Theoderids Bart, als er sagte: »Ich hätte eigentlich gedacht...« Er schüttelte den Kopf und sagte dann laut und deutlich: »Wenn ihr jetzt aufbrechen wollt, werde ich euch nicht aufhalten. Alarich, Retwig, holt die Pferde der Ritter aus dem Stall und gebt ihnen, wonach sie fragen. Mögen Christus und eure Götter dich beschützen, König Gunter.«
»Bereite alles für unsere Rückkehr vor«, erwiderte Gunter.
*
Als sie das Eingangstor der Burg erreichten, erschien Agrippus. Er war bleich, und seine Lippen überzog ein bläulicher Schimmer. »Ihr wollt also wirklich die gefährliche Zauberin aufsuchen?« fragte Agrippus. »Theoderid hat Glück, daß ein Heide um Brünhild wirbt, der die Herausforderung nicht ablehnen kann, um das Heil seiner Seele nicht zu gefährden.«
»Was redest du da?« fragte Sigfrid.
Agrippus hob den Kopf und lächelte Sigfrid spöttisch an. »Oh, ein Christ müßte nicht in Brünhilds Feuerwall sterben, sondern nur ›Hexe‹ rufen. Dann könnte er Toulouse in allen Ehren verlassen, und Theoderids Ruf wäre noch mehr befleckt.« Er lachte hämisch. »Ich glaube, die Flammen, die die Christen heute an Pfingsten beschwören, sind sehr viel angenehmer und kühler als Brünhilds Feuer«, erklärte er dann vielsagend. »Bist du kein Christ?«
»Sigfrid...«
Gunter wurde ungeduldig, aber sein Freund blieb stehen.
»Ich bin zu alt, um den Göttern meiner Familie abzuschwören«, fuhr Agrippus fort, »aber ich werde so oder so bald tot sein, und dann kann Theoderid mit meiner Leiche machen, was er will... Da sind eure Pferde. Ave atque vale, Sigfrid, Gunter, Hagen.« Der Römer verbeugte sich und schloß das Tor.
*
Sie ritten eine Weile schweigend, bis Gunter zu Hagen sagte: »Wie hätte man das ahnen können? Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen?«
»Dir bleibt keine Wahl. Reite durch die Flammen und erobere Brünhild. Diese Tat wird dir großen Ruhm einbringen und landauf, landab besungen werden.«
»Wenn es mir gelingt...«
»Was hilft es, daran zu zweifeln? Theoderid hat das alles sehr geschickt eingefädelt. Du hättest die Herausforderung nicht zurückweisen und weiterhin König unseres Volks sein können. Solche Dinge verbreiten sich schnell. Wenn wir nicht mit Brünhild nach Worms zurückkehren, dann wäre es besser für uns, überhaupt nicht zurückzukommen.«
»Wenn du schnell genug reitest, dürfte es nicht zu schwer sein, durch einen Flammenring zu springen«, erklärte Sigfrid, »der alte Rodkar hat mir erzählt, er habe einmal gesehen, wie ein Krieger mit seinem Pferd über einen brennenden Palisadenzaun gesprungen ist. Er hat gesagt, der Mann sei so schnell gewesen, daß die Flammen vom Luftzug zurückgedrückt wurden und ihm nichts anhaben konnten. Natürlich haben sie ihn dann mit Wurfspeeren tödlich getroffen, aber wenn Brünhild dich auf der anderen Seite nicht mit Waffen erwartet, mußt du nichts fürchten.«
Gunter nickte nachdenklich und klopfte seinem Hengst die braune Mähne. »Goti ist schnell und ein guter Springer. Jetzt werden wir mal sehen, ob sein Temperament ihm wirklich Ehre macht.«
»Weißt du, ob Brünhild wirklich Zauberkünste besitzt?« fragte Sigfrid. »Wenn sie einen Feuerring zaubern kann, wird sie bestimmt auch wissen, wie man Runen ritzt und damit heilen kann. Für eine Königin wäre das wirklich gut.«
»Gudrun versteht etwas davon«, sagte Hagen und blickte zu den Bergen hinauf. »Ich kann Runen lesen, die andere geschnitzt haben ... das heißt, so einigermaßen, ihre Anwendung habe ich nie gelernt. Krimhild fand, ich sollte nicht zu viel Zeit auf solche Dinge verwenden.« »Warum nicht? Ich hätte gedacht, daß gerade sie...«
»Ich kann römische Buchstaben lesen, aber keine Runen«, erklärte Gunter, »für einen König ist das jetzt wichtig. Zum Schreiben habe ich aber einen Römer. Es ist komisch, wenn man für Botschaften und solche Dinge erst einmal die römische - Schrift benutzt, kann man sich kaum noch vorstellen, wie unsere Väter ohne sie ausgekommen sind. Hast du lesen oder schreiben gelernt, Sigfrid?« »Nein,
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