Rheingold
dessen kam Agrippus mit drei kunstvoll verzierten Pokalen. Die anderen Männer füllten die Gläser aus den Glaskrügen, die auf der Tafel standen.
»Ich hoffe, ihr habt euch nach dem langen Ritt erfrischt?« fragte Theoderid und nahm sich den dampfenden Schenkel einer gebratenen Gans. »Ich hatte euch nicht so schnell erwartet.«
»Wir sind gut vorangekommen«, erwiderte Gunter, »ich wollte so schnell wie möglich Brünhild kennenlernen, von der ich schon so viele wunderbare Geschichten gehört habe. Geht es ihr gut?«
Theoderid kaute genießerisch das Gänsefleisch und schien die Frage überhört zu haben. Dann trank er einen Schluck Wein. Schließlich sagte er: »Ja, es geht ihr gut.«
»Werden wir sie bald sehen? Oder ist sie an diesem Feiertag bis zum Abend in der Kirche?« »Wie schnell du sie sehen wirst, hängt von deinem Mut ab. Brünhild ist die eigensinnigste meiner Töchter. Ich mußte ihr schwören, sie nicht gegen ihren Willen zu verheiraten.« Theoderid bedeutete Gunter, der aufspringen wollte, sitzen zu bleiben. »Ich versichere dir, König Gunter, nichts wird mich mehr freuen, als wenn ein so berühmter Herrscher wie du die Prüfung besteht, die Brünhild fordert, und sie deine Frau wird. Ein Bündnis unserer beiden Völker würde von größtem Nutzen sein, besonders wenn du der Held bist, der den Sieg über Brünhilds Stolz davonträgt.«
»Was ist das für eine Prüfung?« fragte Hagen, und es klang in dem heiteren römischen Garten wie der dumpfe Ruf eines Horns, das zum Kampf ruft. »Wie kann deine Tochter den Wert von Gunter, dem Burgunder, in Frage stellen oder sich dem Willen ihres Vaters widersetzen?«
Theoderid erhob sich, stützte die beringten Hände auf die Tischplatte, die unter dem Gewicht schwankte, und reckte den Kopf zu den gezackten Berggipfeln hinauf, die dunkel in den Himmel ragten. »Den Bewohnern von Toulouse und dem Volk der gotischen Stämme ist bekannt, daß Brünhild am heiligen Passahfest einen Eid geschworen hat, mit dem sie bekräftigt, keinen Mann zu heiraten, der Angst kennt. Sie hat geschworen, nur dem stärksten Helden mit der reinsten Seele die Hand als Frau zu reichen.« Er schwieg und fuhr dann etwas leiser fort. »Auf einem Berggipfel in der Nähe der Stadt steht eine Burg, die von den Römern als Wachposten errichtet wurde. Brünhild ist mit dreien ihrer Mägde in diese Burg gegangen. Durch ihre Kraft oder die Gnade Gottes hat sie um die Burg einen Feuerring gelegt und erklärt, nur der Held, auf den sie warte, werde in der Lage sein, die Flammen zu überwinden und sie als Braut zu gewinnen. Dort will sie bleiben, bis der Mann kommt, der diese Prüfung besteht.«
Theoderid verstummte und blickte dann auf Gunter. »Ich frage dich: Bist du dieser Held, König Gunter? Wenn du daran zweifelst, kehre an den Rhein zurück und suche dir eine andere Braut. Meine Tochter wird keinen Geringeren nehmen als den, der die Flammen überwindet. Kein Mensch kann sie jetzt noch zwingen, ihre Meinung zu ändern.« Er seufzte und fuhr dann fort: »Aber wenn du Brünhild befreist, dann schenke ich euch beiden gern meinen Segen.«
Gunter sprang auf. »Ich bin gekommen, um Brünhild als Braut zu gewinnen! Ohne sie werde ich Toulouse nicht verlassen«, erklärte er entschlossen. Die beiden Könige waren beinahe gleich groß. Sie standen sich dicht gegenüber. Gunter hatte leise gesprochen, aber er erwiderte kühn den Blick des Gotenkönigs. Seine Worte hörte man in dem Garten so klar und deutlich wie Hammerschläge, als er feierlich erklärte: »Ich werde vor den Flammen nicht zurückschrecken, auch wenn Brünhild eine Zauberin ist. Ich kann mich mit jedem Mann messen und muß vor keinem zurücktreten. Meine Schande wäre grenzenlos, wenn ich die Prüfung nicht wagte. Weise mir den Weg zu Brünhilds Burg, und ich werde die Flammen überwinden oder sterben.«
»Verlaß die Stadt nach Süden. Folge der Straße in die Berge, und du kannst bereits bei Sonnenuntergang Brünhilds Burg erreichen«, erwiderte Theoderid, »aber möchtest du nicht
zunächst ein oder zwei Tage mein Gast sein und dich von dem langen Ritt erholen?«
»Nein danke, das ist sehr freundlich, König Theoderid, aber ich werde sofort zu Brünhild aufbrechen.«
»Werden dich deine Gefährten begleiten?« fragte Theoderid und blickte mit gerunzelter Stirn Hagen und Sigfrid an. »Wenn sie keine Christen sind, werden sie deine Gesellschaft vermutlich vorziehen.«
»Ich werde meinen Bruder so weit begleiten, wie
Weitere Kostenlose Bücher