Rheingrund
Kleinkram vom Schreibtisch und den Inhalt der Schubladen hinein. Der Computer!, fiel ihm ein. Die Dateien! Die Adressenlisten und Exposés wollte er Bernhard nicht ohne Weiteres überlassen. Und keinesfalls seine privaten Daten. Er startete den Rechner und wartete ungeduldig, bis er einen USB-Stick anschließen und eine Datenübertragung anstoßen konnte. Das würde eine Weile dauern. Für die Ordner müsste er sich Kartons aus dem Archiv holen, überlegte er nüchtern, und nahm den fröhlichen kleinen Buddha von der Fensterbank. Die Figur war aus irgendeinem Stein gefertigt, blank poliert und lag ihm gewichtig im Arm.
Bernhard stieß die Tür auf. »Vier Minuten. Halte dich ran!«
Martin war, als erwache er aus einem Albtraum. Mit dem Buddha im Arm betrachtete er den Papierkorb auf der Schreibtischplatte, schaute auf das Chaos ringsherum und auf Bernhard, der auf den Schreibtisch zu marschierte.
Er hatte den USB-Stick entdeckt. »Du bist dir für nichts zu schade, du Dieb!«
Bernhard bewies Nerven und wartete ab, bis die Aktion beendet war, bevor er den Datenträger aus dem Rechner zog und in die Hosentasche steckte.
Mit einem Mal erkannte Martin in beunruhigender Klarheit, dass die nächsten Minuten über sein Schicksal entscheiden würden. In dieser Sekunde beschloss er, sein Leben zu ändern. Er wollte sich nicht länger treiben lassen wie ein Stück Holz. Zu allem bereit, umfasste er den Buddha mit beiden Händen und schleuderte ihn gegen Bernhards Kopf. Bernhard stieß ein verwundertes Grunzen aus und sackte in sich zusammen wie ein Boxer im K.o. Der Buddha polterte auf den Fußboden, nahe bei Bernhard, der auf dem Rücken liegen blieb, einen Arm in den Papierberg gestreckt, den anderen dicht an der Seite, als ruhe er sich ein wenig aus. Nur die blutende Stirn beeinträchtigte das friedliche Bild. Rings um die Wunde verfärbte sich die Haut violett. Martin stellte fest, dass er den Niedergeschlagenen mit demselben kühlen Interesse betrachtete wie die verendende Schlange. Allerdings drehte Bernhard sich nicht um die eigene Achse. Er rührte sich kein bisschen. Lag da wie tot.
Martin schlich auf Zehenspitzen zur Tür und spähte auf den Flur hinaus. Alles lag in abendlicher Ruhe. Kein Laut war zu hören. Wann, um Himmels willen, rückte der Putztrupp an? Er war so oft bis in den Abend im Büro, hatte aber niemals auf die Zeit geachtet. Das Blut sammelte sich um Bernhards Kopf herum und versickerte im grauen Teppichbelag. Wie soll ich den Fleck jemals wegkriegen?, dachte Martin in Panik und sah sich in Gedanken mit einem Schrubber auf dem Boden knien. Vorher müsste er die Leiche beseitigen. Wie bloß? Die Fingerabdrücke fielen ihm ein, und er bückte sich hastig zum Buddha hinunter.
Bernhard stöhnte. Schwankend zwischen Erleichterung und Enttäuschung, hob Martin den Buddha in die Höhe und zielte auf Bernhards Stirn.
10
Den Donnerstagvormittag verbrachte Norma mit Aufräumen und Putzen. Hausarbeiten schob sie tagelang vor sich her, obwohl die Räume dank der übersichtlichen Abmessungen in dieser Hinsicht wenig Aufwand erforderten. In der Taunusstraße hatte Arthur eine Hilfe beschäftigt, die sich auch um die Pflanzen und die Post kümmerte, wenn Norma und Arthur auf Reisen waren. Norma bezahlte die Frau weiterhin dafür, zwei Mal im Monat nach dem Rechten zu sehen und die Möbel und Teppiche vom Staub freizuhalten. Noch hatte sie keine Vorstellung davon, wie es mit der Wohnung weitergehen sollte. In der Unzufriedenheit über die mangelnde Entscheidungskraft entwickelte sie einen unverhofften Ehrgeiz, der an diesem sonnigen Morgen nicht einmal die Dachfenster und das Innere der Küchenschränke ungeschoren ließ. Zum Schluss nahm sie sich das Büro vor. Der Kater sträubte die Rückenhaare zur Bürste und floh hinauf aufs Regal, als sie den Staubsauger in Gang setzte und das Sitzkissen von den Katzenhaaren befreite. Während sie die Fliesen wischte, wartete sie auf einen Anruf von Inga. Sie hatte das Mädchen in der Agentur nicht erreicht und unter der Handynummer um Rückruf gebeten.
Norma saß wieder am Schreibtisch, vertieft in den Ordner zum Fall Marika, als sich Inga zur Mittagszeit endlich meldete. Sie habe sich den halben Tag freigenommen, um nach den Schlangen zu sehen, und das Telefon zu Hause vergessen, entschuldigte sie sich und fragte aufgeregt: »Hast du Lambert in Berlin angetroffen?«
»Nicht in Berlin. Hier in Wiesbaden«, antwortete Norma und fasste das Gespräch in wenigen
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