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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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Zug näherte sich dem ersten Halt. War Marika in diesen vier Minuten Fahrzeit zu einer Entscheidung gekommen? Inken befand sich zu der Zeit in seinem Fitnessstudio. Martin war wie so oft unterwegs auf einer Radtour. Hatte Sandra Martin über das Handy zu einem Treffen aufgefordert, um sich mit ihm auszusprechen?
    Ein Schild mit der Ankündigung ›Biebrich‹ flog an der Scheibe vorüber. Der Zug bremste ab. Norma verließ die Bahn. Hier musste auch Marika ausgestiegen sein. Zeugen beobachteten sie im Biebricher Schlosspark, durch den sie – so die Schlussfolgerung der damaligen Ermittler – zum Rheinufer hinunterging, sich unter der Brücke versteckte und die Dunkelheit abwartete, um sich dann in den Strom zu stürzen. Eine Theorie, die die dort aufgefundene Reisetasche bekräftigen sollte. Dass Bernhard Inken dieser Ort bestens bekannt war, stand nicht in den Akten.

22
    Die zweite eiskalte Nacht liegt hinter ihm. Er wartet. Darauf, dass der Durst vergeht. Dass er die Kälte und den Regen nicht mehr spürt. Er wartet auf die Rückkehr der Schlange. Dieses Wesen wie aus einer fernen Zeit, das über seinen Körper hinwegstreicht und einen Hauch von Wärme zurücklässt. Eine seltsame Sehnsucht ist das, denkt er in einem Augenblick der Klarheit.
    Das zweite Thema, das ihn beschäftigt, ist ein Entschluss. Mit quälender Anstrengung, die ihn immer wieder innehalten lässt, gelingt es ihm schließlich, den rechten Arm zu bewegen und die Hand an den MP3-Player heranzuschieben. Nicht weniger Kraft kostet es ihn, den Stick auf ›Aufnahme‹ zu stellen und zum Mund hinaufzuführen. Erschöpft muss er sich eine Weile ausruhen, bevor er zu sprechen beginnt. Die Zeit der Wahrheit ist gekommen und damit das Ende der Lügen. Sobald er ins Leben zurückgekehrt ist, wird er sein Schweigen brechen.
    Man wird ihn finden.
    Irgendwann reißt ihn ein Geräusch aus dem Dämmerzustand, der ihn immer öfter umfängt. Lautes Rascheln. Schritte. Eine vertraute Stimme.
    Endlich.

23
    Montag, der 21. April
     
    Am Montagmorgen betrat Norma mit müden Augen die Bäckerei. Sie hatte wenig geschlafen, war viel zu früh aufgewacht und ohne Frühstück hinunter ins Büro gegangen, wo sie vom Steuerordner in Empfang genommen wurde, der als stille Mahnung auf dem Schreibtisch lag. Lustlos rückte sie einem Stapel Belege zu Leibe, doch die Gedanken an den Brief in der Schublade störten die Konzentration. Außerdem ging ihr nicht aus dem Kopf, wie weit die Erkenntnisse in Sachen Blutfleck und Festplatte inzwischen gereift sein mochten. Sie verließ das Büro, als im Bäckerladen gegenüber das Licht anging.
    Die Bäckerfrau legte die Brötchentüte neben einen Zeitungsstapel und tippte auf den ›Kurier‹.
    »Haben Sie schon gehört? Ein Mann wird vermisst. Wie im vergangenen Sommer Ihr Arthur, Frau Tann.«
    Es war das erste Mal, dass sie das Geschehen offen ansprach, war sie Norma doch bisher mit wortlosem Mitgefühl begegnet. Norma kannte nicht einmal ihren Namen. Sie nahm eine Zeitung mit hinauf in die Wohnung und schlug, während sie die Milch für den Kaffee erwärmte, den Lokalteil auf. Ein Foto von Reber auf dem Fahrrad und die Abbildung eines Mountainbikes gleicher Marke ergänzten die Meldung. Der Vermisste wurde als ausdauernder Fahrer beschrieben. Ein Unfall im Taunus oder auf einem Teilstück des Rheinsteigs sei nicht auszuschließen, hieß es im Artikel.
    Sie rief Wolfert auf dem Handy an. »Ist Reber zurück?«
    »Bisher gibt es keine Spur von ihm. Wir warten auf Hinweise.«
    »Was ist mit dem Blutfleck? Habt ihr die Festplatte rekonstruiert?«
    »Norma, du weißt, dass dich die Ermittlungen nichts angehen.«
    »Selbstverständlich, Dirk! Also, meldest du dich?«
    Seine gemurmelte Antwort konnte man so oder so auslegen.
    Sie schnitt gerade das zweite Brötchen auf, als Inga anrief. Das Mädchen klang beunruhigt.
    »Kannst du herkommen, Norma?«
    Eine Wohnung im Westend, erklärte sie hastig. Das Haus im Hinterhof. Vierter Stock. Sie wusste die Hausnummer nicht. Im Vorderhaus sei ein thailändischer Imbiss, nicht zu verfehlen.
    Norma trank den Milchkaffee im Stehen. Das zweite Brötchen musste warten. Zehn Minuten später fuhr sie den Kaiser-Friedrich-Ring entlang und an der imposanten Ringkirche vorbei, bis sie beim Sedanplatz tatsächlich auf einen Parkplatz stieß. Zu Fuß begab sie sich auf die Suche nach dem Haus, einem heruntergekommenen Altbau, ein mehrgeschossiges Mietshaus. Ausgetretene Treppenstufen führten nach oben. Inga

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