Rheingrund
Der Umschlag war ohne Absender und deshalb habe ich ihn aufgemacht. Ich konnte ja nicht ahnen …«
»Was stand drin?«
Die Sekretärin hob die Augenbrauen. »Ich darf Ihnen nicht einfach …«
»Sie können!«, schnitt Norma ihr das Wort ab. »Dazu bin ich als Privatdetektivin autorisiert!«
Eine Behauptung, die so sinnlos wie nützlich war und ihre Wirkung nicht verfehlte.
»Wenn Sie meinen! Marika erwartet Bernhard im Weingut. Von einem Gartenhaus war die Rede.«
Sie ließen die verunsicherte Frau stehen und rannten zum Wagen.
Norma krallte sich am Haltegriff fest, als sich der Mini in die Kurve legte.
»Schleuderkurs!« Ehlers grinste und gab mehr Gas.
Die Fahrt erschien Norma, dem Tempo zum Trotz, unerträglich lang, bis endlich das Weingut, inmitten der noch unbelaubten Rebstöcke, in Sicht kam. Oberhalb zog sich als lang gestrecktes grünes Band der verwilderte Garten den Hang hinauf.
Ehlers trat vor dem Wohnhaus auf die Bremse. »Wieder kein Jeep!«
»Vielleicht ist er von oben an den Garten herangefahren.«
Der Anwalt wollte wenden, aber sie hielt ihn zurück. »Lassen Sie uns zuerst nachsehen, ob Inga zu Hause ist. Was auch immer im Gartenhaus los sein mag, das Mädchen möchte ich in Sicherheit wissen.«
Auf das Klingeln rührte sich nichts. Nicht einmal der Hund gab Laut. Ehlers folgte Norma ums Haus herum zur Gartenpforte. Plötzlich war Arlo da, hatte vielleicht in der Hecke gelegen. Entgegen seiner Gewohnheit bellte er nicht, sondern trabte winselnd heran, richtete sich am Tor auf und balancierte mit den Vorderpfoten über den oberen Balken. Aus seinem Fang schaute ein Stück rotes Plastik hervor.
»Was hat er im Maul?«, fragte Ehlers.
»Arlo klaut ständig anderer Leute Sachen.«
»Seien Sie vorsichtig!«
Als Norma nach dem Diebesgut greifen wollte, stellte der Hund das Wedeln abrupt ein und knurrte, bis sie die Hand zurückzog. Arlo wedelte erneut und musterte sie mit seinen Bernsteinaugen. Das rote Ding rutschte ein Stück weiter ins Freie.
»Könnte ein MP3-Player sein«, vermutete Ehlers.
Norma wagte sich etwas näher heran. »Das ist ein Musikstick, wie Reber ihn hatte! Am Tatort haben die Kriminaltechniker vergeblich danach gesucht. Wo mag der Hund ihn gefunden haben?«
Ehlers baute sich vor dem Tor auf.
»Aus!«, befahl er. »Aus!«
Arlos Antwort war ein tiefes Grollen. Welche Ernsthaftigkeit dahinterstecken mochte, wusste nur der Hund.
»Reizen Sie ihn ordentlich!«, schlug Norma vor. »Wenn er zubeißt, muss er das Teil fallen lassen!«
Ehlers sandte ihr einen empörten Blick. »Nichts gegen einen Tauschhandel! Aber muss es ausgerechnet mein Arm sein?«
»Einen Knochen haben wir nicht dabei.« Sie sah sich zum Mini Cooper um.
»Unterstehen Sie sich!«
»Haben Sie einen besseren Vorschlag?«
Mit flinken Schritten war sie am Wagen und fasste an den Rückspiegel.
Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Das verzeiht sie mir nie!«
Norma ließ das Häschen vor Arlos Augen tanzen, bis er aufgeregt danach schnappte, und schleuderte das Plüschtier im hohen Bogen auf den Rasen. Arlo schoss davon, und Norma konnte ungefährdet unter dem Tor hindurchgreifen und den Stick an sich nehmen, bis der Hund mit dem neuen Fang zurückkehrte. Ehlers beobachtete mit missbilligender Miene, wie der Hund das erbärmlich zerzauste Spielzeug achtlos fallen ließ.
Norma setzte den Datenträger in Gang, der ebenfalls von den Hundezähnen gezeichnet war und dennoch seinen Dienst tat, wie die ersten Takte bewiesen. Gleich darauf brach die Musik ab. Mit zunehmendem Unbehagen lauschte sie der brüchigen Männerstimme, die zuerst voranhetzte, als könnte die Zeit nicht ausreichen, und mit jedem Satz schleppender wurde, bis sie kaum noch zu verstehen war. Das Ende ging in unverständlichem Schluchzen unter.
Ehlers hatte ebenso konzentriert zugehört. »Das ist ungeheuerlich!«, raunte er, als sie den Ton ausstellte. »Und jetzt?«
»Zum Gartenhaus! Wir gehen außen herum.«
Eilig hetzten sie den Berg hinauf. In einer Seitenstraße entdeckten sie den Jeep. Von Inken keine Spur. Norma führte Ehlers zum Gartentor. Er griff an die Klinke.
»Ist offen!«, flüsterte er und riss die Hand erschrocken zurück, als plötzlich der Hund durch das Gebüsch brach und sich hechelnd gegen den Maschendraht warf.
Der Anwalt wischte sich den Schweiß von der Stirn und stieß einen derben Fluch aus, den Norma ihm nicht zugetraut hatte. »Niemals lässt er uns rein!«
»Ach was, Arlo ist wie ein Schaf, solange
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