Rheingrund
brachte die Getränke mit, ein Glas Wasser für Norma und für sich selbst einen Apfelsaft. »Sie wirken besorgt.«
Norma nahm einen Schluck. Die Kälte biss ihr in die Zähne. »Ingas Eltern wurden getötet, und nun ist das Mädchen nicht auffindbar. Halten Sie ein paar dunkle Gedanken für überzogen?«
»Nicht unbedingt. Lassen Sie uns zuerst das Mädchen suchen.«
»Nicht unser Job! Das Wagnis ist mir zu groß.«
Sie fischte das Handy aus der Jackentasche und rief Wolfert an, der zu ihrer Erleichterung sofort zu sprechen war. Dass auch er ihre Besorgnis teilte, trug nicht zu ihrer Beruhigung bei.
Ehlers hatte schweigend zugehört, bis sie das Handy zurücksteckte. »Was wird man unternehmen?«
»Wolfert schickt sofort zwei Kollegen in Zivil zum Weingut. Falls sich die Adresse der Freundin dort nicht auftreiben lässt, läuft die Fahndung an.«
»Also können wir uns wie geplant Inken vornehmen.«
Vorsichtig ließ er ein paar Tropfen rote Soße auf sein Essen fallen und spießte eine fingerdicke Rolle auf die Gabel, um manierlich wie ein Internatsschüler ein Stück abzubeißen. Norma machte weniger Umstände. Sie nahm die Rolle zwischen die Finger und stupste das Ende großzügig in die Chilisoße. Knisternd zersprang der Teig zwischen ihren Zähnen. Nach dem ersten Bissen merkte sie, wie hungrig sie war. Die Frühlingsrollen schmeckten vortrefflich. Ehlers bestellte zwei Portionen nach. Das Zischen im Wok war bis zum Tisch zu hören.
Norma pickte einen Teigkrümel vom Teller. »Haben Sie überhaupt einen Plan? Auf welche Weise wollen Sie Bernhard Inken auf den Zahn fühlen?«
»Warum fangen wir nicht mit dem Freitag an, an dem Martin Reber abstürzte? Womöglich gelingt es uns, an Inkens Alibi zu rütteln.«
Norma seufzte. »Das wird schwierig. Bedenken Sie, dass er sich unter anderem auf mich berufen kann. Ich habe ihn am Freitagmorgen vor seinem Haus getroffen, wo wir kurz über Lambert gesprochen haben. Inken tat überrascht, dass Lambert in Wiesbaden war, und vermutete seinen alten Freund weiterhin im Ausland.«
»Haben Sie ihm geglaubt?«
»An jenem Morgen? Ich war misstrauisch. Andererseits klang, was er sagte, soweit plausibel.«
Die junge Frau brachte die neuen Teller. Dieses Mal ließ Ehlers die Gabel liegen und tat es Norma nach. Nur mit der Soße ging er sparsamer um. Mit der Serviette hantierend, fasste er die Angaben aus dem Protokoll zusammen und bewies dabei aufs Neue ein zuverlässig funktionierendes Gedächtnis.
»Gegen 8 Uhr trafen Sie Inken vor seinem Haus an. So steht es im Protokoll. Nach dem Gespräch fuhr er in der Agentur, wurde dort von der Tochter und der Sekretärin gesehen und machte sich um 8.15 Uhr auf den Weg zum Golfplatz ›Rheinblick‹. Kennen Sie das Gelände?«
Norma bejahte. »Ich war vor einigen Jahren einmal mit meinem Mann dorthin eingeladen. Der Platz ist im Besitz des amerikanischen Militärs, soweit ich weiß, darf aber auch von deutschen Clubmitgliedern benutzt werden. Die Lage ist wunderschön.«
Eine sehenswerte Anlage, bestätigte Ehlers. »Spielen Sie Golf?«
Norma wehrte lächelnd ab. »Bisher nicht, und dabei wird es sicherlich bleiben. Für den Sport bin ich viel zu ungeduldig. Und Sie?«
Er lachte leise. »Mein einstiger Chef und Schwiegervater hatte es aufgegeben, aus mir einen halbwegs passablen Golfspieler zu machen. Was allerdings weniger an meiner Ungeduld als an mangelnder Geschicklichkeit liegt. Ich kenne den Platz recht gut. Frühmorgens geht es dort meistens ruhig zu. Ein Zeuge gibt an, Inken um 9.20 Uhr in der Nähe des Clubhauses begegnet zu sein. Zwei andere Golfer trafen ihn um 10.50 Uhr auf der Bahn sieben an. Die Zeugen erscheinen glaubwürdig. Allerdings ergibt sich eine Lücke von anderthalb Stunden, in denen Inken von niemandem gesehen wurde.«
»Der Platz befindet sich mitten im Wald und ist in vielen Bereichen schwer einsehbar«, wandte Norma ein. »Inken könnte ihn zwischendurch verlassen haben. Er kennt sich in der Gegend bestens aus, und die Stelle, an der Reber abstürzte, liegt nur wenige Kilometer vom Golfplatz entfernt.«
»Bedenken Sie, Inkens Jeep stand die ganze Zeit auf dem Parkplatz. Das jedenfalls wird glaubwürdig versichert.«
Norma erinnerte sich an den Morgen vor Inkens Haus. »Er hatte ein Mountainbike im Kofferraum. Als er die Tasche einlud, ist mir das Rad aufgefallen. Angeblich sollte es in die Werkstatt.«
»Davon steht nichts im Protokoll!«
Norma verstand sich selbst nicht. »Ich hatte es
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