Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
fand er sein Grinsen wieder und ging in Richtung Ausgang.
»Rufen Sie mich ruhig auch direkt an, wenn Sie etwas haben.«
»Natürlich. Das mache ich. Auf Wiedersehen.«
Die Tür fiel hinter Pinnow und Bornemann in den Rahmen, und alle atmeten hörbar aus. Kohler erhob sich.
»Wir tanzen hier auf einer verdammt dünnen Klinge, Klaus. Treib es nicht zu weit.«
»Ich nehme das auf meine Kappe.« Seeberg sah in die Runde. »Also was haben wir Neues?«
Kohler war mit dieser Antwort nicht zufrieden, setzte sich aber hinter seinen Schreibtisch und deutete auf Ammer. »Berichten Sie uns, was Sie über diese stinkende Pflanze herausgefunden haben.«
15.
Ammer öffnete eine Akte und nahm sich einen der Ausdrucke daraus hervor. Ein Foto der Pflanze. Er legte es für alle gut sichtbar auf die Arbeitsplatte des Schreibtischs.
»Das ist sie. Rafflesia arnoldii. So heißt die Pflanze mit offiziellem Namen. Sie stammt aus Asien und ist eine rein parasitäre Pflanze, die nur alle eineinhalb Jahre blüht.«
»Parasitäre Pflanze?« Seeberg seufzte. »Fassen Sie es bitte so zusammen, dass wir es alle verstehen, Ammer.«
»Na gut.« Ammer straffte sich. »Ein gewisser Sir Thomas Stamford Raffles, der übrigens auch Gründer der Stadt Singapur ist, war im Mai 1818 Leiter einer Expedition, die er zusammen mit dem britischen Wissenschaftler Joseph Arnold in den Dschungel Sumatras führte. Dabei stießen sie auf eine stinkende Blüte mit fleischigen Blütenblättern, die die Eingeborenen Leichenblume oder Teufelsblume nannten.«
»Na, das passt ja«, meinte Kohler. »Das Teil riecht ja wirklich genau wie eine verwesende Leiche.«
»Die Farben der Blütenblätter sind wie bei unseren Exemplaren auch meistens purpurrot und mit warzenartigen weißen Flecken gepunktet. Es gibt alleine im indomalaiischen Raum zwölf Arten undneun Gattungen. In Thailand ist nur die Art Sapria himalayana bekannt, deren Blütendurchmesser immerhin noch zwanzig bis dreißig Zentimeter beträgt. Man findet sie unter anderem im Khao-Sok-Nationalpark, dort nennt man sie Buah Poh.«
Seeberg nickte zufrieden. »Es ist also, wie wir vermutet haben. Man kann diese Dinger also definitiv nicht irgendwo im Blumenladen um die Ecke kaufen.«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Die Rafflesia arnoldii ist ein hoch spezialisiertes Gewächs, unfähig zur Photosynthese, der selbständigen Energiegewinnung, und verfügt weder über Wurzeln, Blätter oder Stiel.«
»Und wie überlebt sie? Sie muss sich doch irgendwie mit Wasser versorgen.«
»Sie ist eben ein Parasit«, erklärte Ammer. »Ihre Samen nisten sich in der Wirtspflanze ein und bilden mikroskopisch feine Zellfäden, die sich im Stammgeflecht der Wirtspflanze festsetzen und dann ihre Nahrung daraus beziehen. Wenn sie ihre volle Größe erreicht hat, tut sich in ihrer Mitte eine große Öffnung auf, aus der dieser stinkende Aasgeruch austritt, der im Umkreis von hundert Metern noch wahrzunehmen ist. Der penetrante Geruch lockt die Fliegen an, die dann die millionenfachen Samen der Blüte zu den seltenen Wirtspflanzen transportieren und so das Überleben der Art sichern.«
»Ich habe zwar nur die Hälfte verstanden, aber es scheint recht aufwendig zu sein, sich als Teufelsblüte fortzupflanzen.«
»Allerdings. Vor allen Dingen, wenn man bedenkt, dass sie normalerweise nach fünf bis sieben Tagen verwelkt. Dann dauert es wieder achtzehn Monate bis zur nächsten Blühte. Danach verwelkt sie wieder.«
»Das ist interessant.« Seeberg stand von seinem Stuhl auf und ging zum Fenster. Draußen hatte sich inzwischen der Graupel in Regen verwandelt. Die Straßenlaternen waren angeschaltet, und Nebel legte sich über alles und jeden. Es war ein Tag, wie man ihn aus zahlreichen Sherlock-Holmes-Filmen kannte. »Unser Täter hat sich also sehr viel Mühe gemacht, damit er diese Pflanze hinterlassen konnte. Schließlich stand diese Pflanze bei beiden Opfern jeweils in voller Blüte.«
Ammer lächelte. Offenbar war er zufrieden über seinen Auftritt. »Der Täter muss also entweder achtzehn Monate abgewartet haben, oder er züchtet sie selbst irgendwo.«
Seeberg drehte sich um. »Jedenfalls hat diese Pflanze eine große Bedeutung für ihn. Wenn wir herausfinden, worauf diese Bedeutung beruht, haben wir eine große Chance, ihn zu fassen.«
Verdammt, dachte sich Seeberg, ich hätte damals schon darauf kommen müssen. Er sah zu Ammer, derein weiteres Mal in den Unterlagen wühlte und eine handschriftliche Nachricht
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