Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
um einen Mann handelte. Unter den ganzen Umständen war jedoch eine Frau die viel schlüssigere Erklärung.
Der Kommissar las erneut die Inschrift auf dem Grabstein.
In ewiger Liebe ruht hier
meine Schwester
Valerie Freitag
*18.03.1993 – †19.01.2004
34.
»Ich bin noch nie zuvor mit einer Beamtin der Kriminalpolizei in einem Wagen gefahren. Übrigens nett, dass Sie mich abholen.«
»Kein Problem.«
»Wo soll die Befragung denn stattfinden?«
»Im Präsidium. Es liegt etwas außerhalb der Stadt aber die Befragung wird nicht allzu lange dauern.«
»In so netter Gesellschaft macht mir das nichts aus. Was machen Sie denn heute Abend?« Sie antwortete nicht. Dafür legte Hübner nach. »Bekommen die bösen Buben sonst Handschellen von Ihnen angelegt? Ich wette, Sie können ganz schön kratzbürstig werden, wenn einer bei einer Verhaftung mal nicht so will, was?«
Es war ganz offensichtlich, dass Hübner sie nicht wieder erkannt hatte. Dafür war es zu lange her. Aber die schmierige Art seiner Anmache war genauso unmissverständlichwie damals seine Aufforderung, zu ihm in das Hinterzimmer zu kommen. Der pure Ekel kroch in ihr hoch, als sie an die Bilder von damals dachte. Die feuchten Tage in diesem stinkenden Loch, in dem die stickige Hitze durch jeden Spalt kroch. Sie waren zu siebt in einem Verschlag im hinteren Teil des Gewächshauses eingepfercht worden und teilten sich zwei Plastikeimer. Einen für ihre Notdurft, in einem anderen befand sich Trinkwasser, was allerdings so stank, dass man nicht immer wusste, welcher Eimer wofür war. Es stank nach Exkrementen und Erbrochenem, was eine Folge der Mangelernährung war. Und wenn man doch mal in den Schlaf gefunden hatte, liefen einem die Ratten über die Füße und Körper. Doch das war nichts gegen den Gestank dieser widerlichen Pflanzen, der immer und überall in der Luft lag. Niemals in ihrem Leben würde sie ihn vergessen. Besonders im Separee nebenan, das noch näher an den exotischen Züchtungen lag und in dem die Kunden warteten, war es so schlimm, dass sich selbst die Kunden darüber beschwerten. Doch Cunningham hatte die Männer immer nur ausgelacht und ihnen zu verstehen gegeben, eben schneller fertig zu werden. Schlimmer als diese Tage waren nur die Nächte, in denen sie alle dicht aneinander gedrängt versuchten, auf dem blanken Boden etwas Schlaf zu finden.
Der Instinkt ist ein untrüglicher Überlebenshelfer in Extremsituationen, dachte sie. Ab und zu tauchten auch noch spätnachts Kunden auf. Das waren die Schlimmsten von allen, da sie betrunken aus irgendwelchen Kneipen kamen. Sie kannten keine Gnade oder Achtung vor dem Leben der Kinder.
»Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«
Julia Freitag sah Hübner an und erkannte einen dieser Männer in ihm. Sie musste sich zusammenreißen, um ihn nicht mit einer Vollbremsung durch die Windschutzscheibe zu katapultieren. Nein, das wäre zu wenig Schmerz für ihn. Stattdessen grinste sie gezwungen. Sie musste das Spiel noch eine Weile mitspielen.
»Bei mir wehrt sich selten jemand.«
»Ja, da wette ich drauf.« Er lachte auf. »Haben Sie denn auch Handschellen dabei, falls ich mich nicht kooperativ verhalte?«
»Wir sind hier zu einer Befragung, Herr Hübner. Und nicht auf einer Erotikmesse.«
»Die Erinnerungen an damals kramt man aber nicht allzu gerne wieder hervor. War ’ne schlimme Sache damals. Die ganze Zerstörung und das Leid an allen Ecken. Ich hoffe, Sie zeigen sich dafür erkenntlich, wenn ich sie schon unterstütze und extra dafür aus Hannover angereist bin.«
Nicht nur das, dachte sie und fühlte die aufgezogeneSpritze im Fach der Beifahrertür. Sie waren mittlerweile schon einige Kilometer außerhalb der Stadt in Richtung Rhön gefahren und befanden sich auf einer Landstraße. Sie entschied, dass nun der richtige Moment gekommen war. Ihre Finger fühlten die Injektion. Ihre Muskeln spannten sich, und das Adrenalin schoss durch ihre Blutbahn. Sie atmete noch einmal tief durch, als es in dem Lautsprecher des Polizeifunks knackte.
»Achtung, an alle verfügbaren Streifen. Gesucht wird Julia Freitag. Die Beamtin der Kriminalpolizei Fulda wird in Verbindung mit den Morden an Joachim Pogatetz sowie Michelle und Ferdinand Karstensen gebracht. Es gilt höchste Gefahrenstufe. Die Verdächtige ist bewaffnet.«
Hübner sah sie aus weit aufgerissenen Augen an. Er war nicht naiv und verstand sofort den Zusammenhang zwischen Freitag, den Morden und seinem Zusammentreffen mit ihr. Die
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