Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
diese Entscheidungen schnell zu treffen.
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?« Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Wir haben hinten im Lager noch eine größere Auswahl an Mustersteinen. Wenn Sie mir vielleicht dahin folgen möchten?«
»Danke. Ich bin aus einem anderen Grund hier. Sind Sie der Besitzer?«
»Nein«, entgegnete der junge Mann. »Der Chef ist hinten in der Werkstatt. Soll ich ihn holen?«
Seeberg nickte, und der junge Mann verschwand. Kurz darauf kam er mit einem kräftigen Mann im Blaumann an seiner Seite zurück.
»Sie sind Herr Kauder, der Besitzer?«
Der Mann nickte. »Ja, der bin ich.«
Seeberg verstand, warum der junge Herr für die Kunden zuständig war und nicht der Chef. Ein sympathisches Auftreten gehörte nicht zu den Stärken des Steinmetzes.
Der Kommissar zeigte seine Marke, und Kauder kontrollierte sie. Seine Gesichtszüge wirkten kantig und seine Hände waren die eines schwer arbeitenden Handwerkers. Sie waren mit einer dünnen Schicht Steinstaub überzogen. In seinen wulstigen Fingern wirkte die Dienstmarke wie ein Spielzeug.
»Kriminalpolizei? Aus Fulda? Was treibt Sie denn zu uns nach Frankfurt?«
»Es geht um einen aktuellen Fall. Und Sie könnten uns vielleicht weiterhelfen.«
Kauder lachte auf. »Ich wüsste nicht wie.«
»Sie bekommen manchmal von städtischer Seite den Auftrag, eine Grabplatte oder einen Grabstein zu fertigen?«
»Kommt schon mal vor. Wir haben eben einen guten Namen.«
»Können Sie sich an diesen Auftrag hier erinnern?«
Der Kommissar reichte die Kopie des Auftrags, worauf Kauder seine Brille hervorkramte und die Eintragungen überprüfte. »Hm, kann mich nicht daran erinnern. Aber scheint von uns erledigt worden zu sein.«
»Es ging dabei um ein junges Mädchen.«
»Tut mir leid, kann mich nicht erinnern.«
»Vielleicht ein Name? Irgendwas?«
Kauder zuckte die Schultern. »Naja, klingt vielleicht blöd, aber Mitleid kann ich mir nicht leisten. Mein Job ist es, Grabsteine herzustellen. Wenn ich mir über jeden Toten Gedanken machen würde, könnte ich diesen Beruf wahrscheinlich keine zehn Tage ausüben. Aber wenn wir diesen Auftrag angenommen haben, müssten wir noch ein paar genauere Anweisungen haben.«
»Könnten Sie vielleicht in Ihren Unterlagen nachschauen?«
Kauder verschwand wortlos in einem kleinen Büroraum und kam mit einem dicken Ordner unter dem Arm zurück.
»Die Geschäfte laufen anscheinend gut.« Der Kommissar deutete auf die prallgefüllten Ordner.
»Ein todsicheres Geschäft«, antwortete Kauder, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, dass es lustig gemeint war. Er blätterte verschiedene Papiere durch. Dann tippte er auf einen der Ausdrucke und reichte ihn dem Kommissar.
»Hier haben wir es. Auftrag der Stadt Frankfurt über eine Grabplatte aus Granit. Standard. Es war ein leeres Grab.«
»Das heißt, es lag keine Leiche darin.«
»Genau. War wohl eher eines dieser Gräber, damit die Angehörigen einen Platz zum Trauern haben.«
Der Kommissar überflog das Papier. Doch leider war auch hier keine weitere Information aufgeführt, die ihn weiterbrachte. Er hatte gehofft, einen Namen zu erhalten. Er war sichtlich enttäuscht.
»Steht denn da nicht irgendetwas über die Tote drauf?
»Nein. Nach was suchen sie denn genau?«
»Na, nach einem Familiennamen, der uns vielleicht weiterhilft.«
»Dann gehen Sie am besten doch direkt zum Grab. Es liegt keine fünf Minuten zu Fuß von hier am Hauptfriedhof. Einfach über die Eckenheimer Landstraße. Hier, die Grabstelle ist oben auf dem Zettel notiert.«
Seeberg hastete den Weg hinauf, in seiner Hand der Zettel mit der Grabnummer. Es musste irgendwo hinter der nächsten Biegung liegen. Die kalte Luft stach in seinen Lungen, und ihm wurde schmerzlich klar, dass er alles andere als in Form war. Die ersten Gräber kamen in Sicht. Ein kleiner weißer Stein aus Marmor war der erste in der Reihe. 38c stand an einer Ecke. Wieder überprüfte er die Aufzeichnung in seiner Hand: 46c. Er zählte die weiteren Gräber ab und hielt bei einem unscheinbaren Grabstein, der den Beschreibungen entsprach. Dunkler Granit, kaum einen halben Meter groß. Doch viel wichtiger war die Tatsache, dass in goldener Schrift tatsächlich etwas darauf eingelassen stand. Seeberg schnaubte und wischte mit der Hand über den Stein.
»Nein, das gibt’s doch nicht.«
Vieles ergab nun einen Sinn. Sie hatten einen Fehler gemacht, indem sie die ganze Zeit davon ausgegangen waren, dass es sich bei dem Täter
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