Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
dem Zeigefinger. Seeberg verstand, dass er das Gespräch am Laufen halten solle. Beide wussten, dass es vielleicht nur diese eine Chance geben würde. Seeberg kam der Gedanke, dass er sie reizen musste, wenn er eine Chance haben wollte, dass sie sich verplapperte und damit einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort gab.
»Ich war am Grab Ihrer Schwester.«
»Ich war lange nicht mehr dort. Ich ertrage es einfach nicht, dass sie nicht mehr da ist.«
»Es tut mir leid, was ihr passiert ist.«
»Ja, ich weiß. Sie können es wahrscheinlich wirklich nachempfinden. Deswegen können Sie mich sicher auch verstehen, dass ich es zu Ende bringen muss.«
»Zu Ende bringen? Was meinen Sie damit? Was müssen Sie zu Ende bringen. Haben Sie noch einen weiteren Mord geplant?«
»Warten Sie es einfach ab. Und nun verschwinden Sie aus dem Haus.«
Der Kommissar ging zum Fenster hinüber, er schob die Gardine einen Spalt zur Seite und musterte die Straße vor dem Haus. Dazu gab er Kohler ein Handzeichen, dass er einen Polizisten nach unten schicken sollte. Julia Freitag musste irgendwo in der Nähe sein.
»Woher wissen Sie, dass ich hier bin?«
»Das tut nichts zur Sache. Verschwinden Sie aus dem Haus. Ich möchte nicht, dass Unschuldige verletzt werden.«
»Wie meinen Sie das? Bei Michelle Karstensen hat Sie das doch auch nicht interessiert.«
Für einen Moment blieb es stumm am anderen Ende.
»Das war so nicht geplant.«
»Mensch, Freitag. Machen Sie es doch nicht noch schlimmer, als es schon ist. Lassen Sie uns reden. Siesind noch jung. Werfen Sie Ihr Leben doch nicht weg.«
»Ich erwarte aber gar nichts mehr vom Leben. Ich bringe das zu Ende, und dann war’s das.«
Der Kommissar versuchte im Dunkel der Straße etwas zu erkennen. Sie musste irgendwo dort unten sein. Und tatsächlich, gerade als der Polizist die Straße betrat, heulte einige Meter entfernt ein Auto auf und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
»Sie wollten den Laptop holen, den Sie aus dem Haus von Karstensen gestohlen haben? Dort befinden sich wahrscheinlich noch Fotos und Hinweise der weiteren potenziellen Opfer darauf. Aber den bekommen Sie nun nicht mehr.«
»Denken Sie wirklich, dass es mir jetzt noch um meine Identität geht. Sie wissen doch längst, dass es um mich und meine Schwester geht. Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie aus der Wohnung wegkommen. Dort fliegt gleich alles in die Luft.«
Das war das Letzte, was Julia Freitag sagte, dann wurde das Gespräch unterbrochen.
»Verdammt!« Seeberg wirbelte herum. »Bombe! Raus hier! Alle raus, und zwar sofort.«
Die Beamten rannten die Treppen hinunter und forderten die Nachbarn auf, die allesamt schon voller Neugier im Treppenhaus standen, ihre Wohnungen zu verlassen. Kaum dass sie das Haus verlassenhatten, setzte eine Explosion ein, die die Fenster der oberen Etage zerbersten ließ. Glassplitter flogen durch die Luft und landeten auf der Straße. Als Seeberg den Kopf hob, loderten bereits die ersten Flammen aus den Fenstern des Gebäudes.
»Sind alle okay?« Seeberg schaute sich um und erkannte sowohl Kohler als auch Ammer neben sich auf dem Asphalt liegen.
»Ja.« Kohler nickte. Seine Stirn blutete, ansonsten schien er es aber unbeschadet überstanden zu haben. »Ich werde langsam zu alt für so was.«
Der junge Ammer richtete sich auf und sah zu den Flammen hinauf.
»Was war das?«
»Das war eine überaus konsequente Art, sich aus seinem alten Leben zu verabschieden und alle Spuren und Hinweise darauf zu zerstören.«
»Die ist ja völlig verrückt geworden. Wir hätten dabei alle draufgehen können.«
»Was haben Sie da, Ammer?« Seeberg deutete auf den Gegenstand, den Ammer beim Sturz unter sich begraben hatte.«
»Das?« Ammer lächelte. »Das ist wohl Freitags Laptop. Ich habe ihn noch schnell eingesteckt, bevor Sie gerufen haben, dass gleich eine Bombe hochgehen würde.«
»Na, wenigstens etwas.«
38.
Als die Feuerwehr abgezogen war, gingen der Kommissar und die anderen Beamten noch einmal zurück in die ausgebrannte Wohnung von Julia Freitag. So ziemlich alles, was sich in der Wohnung befunden hatte, war der Hitze und dem Flammenmeer zum Opfer gefallen. Der Plan von Freitag war zumindest zum Teil aufgegangen.
»Wir haben hier was.« Einer der Feuerwehrleute kam aus der Küche herüber. »Es sieht so aus, als sei ein Brandsatz unter dem Spülbecken angebracht worden. Offenbar war er dort aber schon länger montiert und konnte mit Hilfe eines elektronischen Fernzünders ausgelöst
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