Rhosmari - Retterin der Feen
ein, dass sie nicht am Tisch ihrer Mutter saß.
»Was?«, fragte sie, sobald sie geschluckt hatte. Im Grunde sprach nichts dagegen, sich während des Essens zu unterhalten. Trotzdem fühlte sie sich unwillkürlich beklommen und sogar ein wenig schuldbewusst.
»Die Bewegung, die du vor dem Essen gemacht hast. Ich habe sie noch nie bei jemandem gesehen. Was bedeutet sie?«
Wie konnte sie das beantworten, ohne zu verraten, dass sie zu den Kindern des Rhys gehörte? »Es ist ein Brauch, den ich von meiner Mutter gelernt habe«, sagte sie schließlich. »Eine Art Dank dafür, dass wir etwas zu essen haben.«
»Aha«, sagte Martin, aber zu Rhosmaris Erleichterung fragte er nicht genauer nach. Schweigend aßen sie zu Ende. Rhosmari wischte gerade die letzten Krümel von ihrem Rock, als die Tür am anderen Ende des Abteils aufging und ein Mann mit forschen Schritten eintrat. »Die Fahrkarte, bitte«, sagte er zu der Frau auf seiner rechten Seite. Langsam arbeitete er sich durch den Gang auf Rhosmari und Martin zu.
Martin fasste in seine Jacke. Rhosmari bückte sich, um nach ihrer Fahrkarte zu suchen, doch Martin hielt dem Mann schon zwei Fahrkarten hin.
»Aber ich …«, begann sie und verstummte auf Martins warnenden Blick hin. Der Mann gab die Fahrkarten zurück und ging weiter, und Martin sah Rhosmari mit einem verschwörerischen Lächeln an und schnippte mit dem Finger gegen die Karten. Sofort verschwand der Aufdruck und er steckte sie wieder ein.
Er hatte den Mann also getäuscht? Rhosmari war sprachlos. Sie wusste, dass männliche Feen besonders geschickt darin waren, die äußere Gestalt von Dingen zu verändern, hatte aber nicht gedacht, dass sie damit andere betrogen.
»Na komm«, sagte Martin, »sieh mich nicht so empört an. Das Brötchen, das ich dir gegeben habe, hast du doch auch gegessen.«
Er hatte ihr Essen also ebenfalls gestohlen? Rhosmari hatte auf einmal ein Gefühl, als hätte sie eine Handvoll Staub geschluckt. Aber was sollte sie tun? Das Essen war weg und sie hatte keine Ahnung, woher es gekommen war. Sie presste die Lippen zusammen und wandte den Blick ab.
Martin lachte auf. »Bist du wirklich so anständig? Dann muss es dir aber ziemlich schwerfallen, der Kaiserin zu dienen. Du … dienst ihr doch?«
Rhosmari sah ihn misstrauisch an. »Und du?«
»Was glaubst du denn?« Martin hob die Augenbrauen. »Würden die Schwarzen Flügel sonst versuchen, mich zu töten?«
»Töten! Warum?«
»Weil die Kaiserin es befohlen hat, warum sonst? Zuerst sollte ich jemanden für sie töten, aber ich weigerte mich. Daraufhin wollte sie mich zum Gehorsam zwingen, und als das nicht mehr ging, erklärte sie mich zum Spion und Verräter.«
Rhosmari umklammerte die Armlehnen ihres Sitzes. Als das nicht mehr ging. Wenn Martin nicht mehr der Herrschaft der Kaiserin unterstand, musste er den Namensstein berührt haben. Aber wie war das möglich und wann hatte er es getan? Sollte sie ihn fragen oder verriet sie damit zu viel über sich selbst?
»Ich habe eine Frage«, sagte Martin. »Warum hast du mir geholfen? Hast du keine Angst vor der Strafe der Kaiserin, wenn sie davon erfährt?«
»Ich möchte zuerst dich etwas fragen«, erwiderte Rhosmari. »Wie kommst du dazu, dich der Kaiserin zu widersetzen?«
Martin musterte sie aufmerksam, als versuche er sie mit seinem Blick einzuschätzen. »Hast du schon einmal von dem Namensstein gehört?«
Selbst wenn sie imstande gewesen wäre zu lügen, bei dieser Frage hätte sie sich nicht überwinden können. »Ja.«
»Dann hast du bestimmt auch von der Schlacht im Refugium gehört, in der Rob und die anderen Rebellen gegen die Kaiserin gekämpft haben. Kennst du Rob?«
»Ein wenig«, sagte Rhosmari vorsichtig. Rob hatte Linde und Timothy als Erster vom Namensstein erzählt und sie gedrängt, danach zu suchen. Obwohl er genauso wenig wie die anderen Feen des Festlands gewusst hatte, wo die Kinder des Rhys zu finden waren, wenn sie sich recht erinnerte – und das musste sie eigentlich, sie hatte sich die entsprechende Wissenskapsel doch so oft angesehen. Den Aufenthaltsort der Kinder des Rhys hatte Timothy ganz allein herausgefunden …
Nein, sie wollte nicht schon wieder an Timothy denken. Ein wenig fester sagte sie: »Erzähl weiter.«
»Ich war damals selber im Refugium. Nach der Flucht der Kaiserin und ihrer Gefolgsleute bot Rob den Stein allen an, die frei sein wollten, und ich ging darauf natürlich gerne ein. Ich wollte mich allerdings nicht den Rebellen
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