Rhosmari - Retterin der Feen
starrte ihn fassungslos an, als hätte er sie ins Gesicht geschlagen. »Ich bin kein Dieb!«
»Dann hast du die Kette wahrscheinlich am Strand gefunden? Oder von deiner alten Tante geerbt, der Königin von Saba?« Der Mann nahm das Telefon, das neben ihm lag, und begann Tasten zu drücken. »Ich rufe jetzt die Polizei an. Die wird das klären.«
Rhosmari wusste, was das bedeutete und dass sie es nicht zulassen durfte. Verzweifelt hob sie die Hände und hüllte den Juwelier in einen funkelnden Zauber ein.
Schlagartig ließ der Mann das Telefon sinken und seine wütende Miene wich der Verwirrung. »Wen wollte ich noch gleich anrufen?«, murmelte er. Er legte das Telefon wieder hin, zwinkerte und rieb sich die Augen. »Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen. Was kann ich für dich tun?«
Doch als er zu Ende gesprochen hatte, war Rhosmari mit ihren Perlen schon verschwunden.
Atemlos rannte sie die Straße entlang. Das war knapp gewesen. Warum hatte der Juwelier nicht glauben wollen, dass die Perlen ihr gehörten? Weil sie noch so jung war? Oder hatte etwas anderes an ihrem Aussehen ihn misstrauisch gemacht?
Sie blieb vor einem Schaufenster stehen und betrachtete ihr Spiegelbild, bemerkte aber nichts Ungewöhnliches. Dass sie eine Fee war, verrieten eigentlich nur ihre spitz zulaufenden Ohren, aber die wurden von ihren dicken, nur lose festgesteckten Haaren bedeckt.
Dann musste sie eben ein anderes Geschäft finden, das Schmuck verkaufte, und es noch einmal versuchen. Die Vorstellung war ihr zwar unangenehm, aber genauso unangenehm war das hohle Gefühl in ihrem Bauch und ihre wachsende Überzeugung, dass gleich jemand von den Grünen Inseln auftauchen würde, um sie zu verhaften. Sie schulterte ihren Rucksack und ging weiter.
Eine Weile lang ging sie von einem Schaufenster zum anderen, dann wurde sie fündig: Zwischen einem Stapel glasierter Keramik und der Skulptur eines springenden Delfins stand ein wie ein Baum geformter Ständer mit Ansteckern und Ketten. Sie klopfte an die Tür und wartete.
»Klemmt die Tür?«, fragte die Frau und ließ Rhosmari eintreten. »Komisch, das hat sie bisher nie getan.« Doch sie klang fröhlich und machte ein freundliches Gesicht. Rhosmari fasste Mut und zeigte ihr die Kette.
»Du meine Güte, das ist ja ein Prachtstück«, rief die Frau. »Und sehr alt noch dazu. Ich kenne niemanden in St. Davids’s, der es bezahlen könnte. Damit solltest du mindestens nach Haverfordwest gehen oder gleich nach Swansea oder Cardiff …«
»Aber ich brauche das Geld jetzt«, sagte Rhosmari. »Bitte. Ich nehme, was sie mir dafür geben können.«
Die Frau blickte von der Kette zu Rhosmari und wieder zurück und runzelte die Stirn. »Du bist in Not, ja, Liebes?«
Rhosmari wollte empört etwas erwidern, aber die Frau hob die Hand. »Keine Angst, ich will mich nicht in deine Privatangelegenheiten einmischen. Aber es würde mir bei meiner Entscheidung helfen, wenn ich wüsste, warum du das Geld so dringend brauchst.«
»Ich muss nach London«, sagte Rhosmari. »Unbedingt, es ist sehr wichtig.«
»Hast du dort Freunde? Verwandte, die sich um dich kümmern können?«
»Nicht in London, aber … ich kenne Leute, die dort in der Nähe wohnen. In Aynsbridge.«
Ein Vogel flog von draußen gegen die Fensterscheibe. Rhosmari drehte sich nach ihm um, doch er war schon wieder verschwunden. Sie wandte sich wieder der Frau zu. »Dorthin muss ich also.«
Glücklicherweise reichte das, die Bedenken der Ladeninhaberin zu zerstreuen. Sie nannte einen Preis, den sie zahlen konnte, fügte aber hinzu, dass die Kette viel mehr wert sei, und versicherte Rhosmari, sie könne die Kette innerhalb der nächsten sechs Wochen jederzeit zurückkaufen. Erleichtert nahm Rhosmari das Geld, bedankte sich, so gut es ging, ohne danke zu sagen – denn die Feen verwendeten dieses heilige Wort nur, wenn es um Leben und Tod ging –, und verließ das Geschäft beschwingt.
Sie überquerte gerade den Marktplatz in Richtung Rathaus – die Frau hatte gesagt, dort fahre der Bus nach Haverfordwest ab –, da hörte sie ein Geräusch, ein heiseres Krächzen. Sie blickte auf. Auf dem hohen, von einem Ring eingefassten Kreuz in der Mitte des Platzes saßen zwei Raben.
Daran war zunächst nichts Ungewöhnliches. Doch als Rhosmari dem starren Blick der Raben begegnete, überlief sie unwillkürlich ein Schauer. Das waren keine gewöhnlichen Vögel, sondern Feen, männliche Feen in Rabengestalt.
Allerdings handelte es sich
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