Rhosmari - Retterin der Feen
Angelegenheiten einmischen.«
Sie war also nicht nur eine Gefangene und Sklavin, dachte Rhosmari, sondern auch eine Geisel. »Ach so«, sagte sie. »Bitte entschuldigt mich.« Sie stand auf und ging aus dem Zimmer.
Nach dem Frühstück zog die Kaiserin sich in ihr Arbeitszimmer zurück, doch wusste Rhosmari nicht, was sie darin tat, denn durch die geschlossene Doppeltür drang nur hin und wieder ein Knarren oder Rascheln. Nach einigen Minuten gab sie das Lauschen auf und kehrte in ihr Zimmer zurück. Am späteren Vormittag wurde sie durch dumpfes Poltern und lautes, herzzerreißendes Schluchzen, das von der Treppe kam, aus ihren Gedanken gerissen. Sie eilte auf den Gang hinaus und sah, wie zwei ihr unbekannte männliche Feen gerade das Arbeitszimmer betraten. Sie zerrten eine Fee mit sich, die sich mit aufgerissenen Augen verzweifelt wehrte. Bevor Rhosmari fragen konnte, was hier vorging, fiel die Doppeltür ins Schloss.
Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und setzte sich wie betäubt auf das Ende des Bettes. In der Ferne steigerte sich das Geschrei und Flehen zu einem Kreischen – schlagartig gefolgt von Stille. Rhosmari krampfte sich der Magen zusammen. Was hatte die Kaiserin mit der Fee gemacht? Sie in eine Sklavin verwandelt? Oder etwas noch Schlimmeres?
Sosehr Rhosmari die Antwort fürchtete, sie musste sie trotzdem wissen, deshalb ließ sie die Tür zum Arbeitszimmer eine halbe Stunde lang nicht aus den Augen. Doch als die vertraute Stimme der Kaiserin schließlich freundlich rief: »Rhosmari, kommst du bitte?«, und sie gehorsam aufstand und hinüberging, war im Arbeitszimmer außer ihr und der Kaiserin niemand. Die anderen Feen – zumindest die beiden männlichen – mussten sich durch einen Sprung entfernt haben.
»Du solltest nicht so viel in deinem Zimmer sitzen und vor dich hin brüten«, schalt die Kaiserin. »Du kannst dich im ganzen Haus frei bewegen. Weshalb gehst du nicht in die Bibliothek oder siehst dir die Gemälde an? Im Salon hängen einige schöne Landschaften und auch einige ausgezeichnete Porträts.«
Wie das von Philip Waverley?, hätte Rhosmari am liebsten gefragt, doch sie schwieg. Jemand hatte das Bild mit brutaler Gewalt zerstört, deshalb war es vielleicht gefährlich, die Kaiserin darauf anzusprechen. Außerdem saß Rhosmari noch das wilde Geschrei vom Vormittag in den Knochen.
»Bestimmt hat dich der Krawall von heute Morgen erschreckt«, sagte die Kaiserin, als hätte sie Rhosmaris Gedanken erraten. »Entschuldige bitte die Belästigung, aber es gibt immer noch viele abtrünnige Feen, die mich nach der Schlacht im Refugium verlassen haben und seitdem überall Unruhe stiften. Viele kehren freiwillig zurück, wenn wir sie finden, weil sie gemerkt haben, dass es ihnen unter meiner Herrschaft besser ging und sie glücklicher waren. Andere dagegen … sind nicht so einsichtig.«
Sie wickelte sich eine Haarlocke um den Finger und blickte abwesend in die Ferne. Dann straffte sie sich. »Aber egal. Geh und sieh dich im Haus um. Vielleicht findest du etwas, womit du dir die Zeit vertreiben kannst, bis ich wieder Zeit habe, mit dir zu sprechen.«
Es klang wie ein Befehl, und sosehr Rhosmari sich dafür hasste, sie musste ihm bedingungslos gehorchen. Sie verließ das Arbeitszimmer und machte die Tür hinter sich zu.
NEUN
Draußen regnete es. Auf den Kieswegen hatten sich kleine Pfützen gebildet und das Grün des Rasens war dunkler geworden. Rhosmari saß am Fenster der Bibliothek und blickte lustlos in den verwilderten Park hinaus. Sie hatte lesen wollen, aber die Bücher, die sie auswählte, waren alle hauptsächlich Chroniken des menschlichen Elends und ihre Augen wollten sich auch gar nicht auf die Seiten konzentrieren.
Nach einigen Minuten kam draußen der kleine Hund – Isadora – über den nassen Kies geschlichen. Er sah noch magerer und ungepflegter aus als zuvor. Flehend sah er Rhosmari an, dann legte er sich mit dem Gesicht zum Fenster hin und bettete das Kinn zwischen die stummelartigen Vorderpfoten. Warum war er hier? Die Kaiserin schien nichts von ihm zu wissen und Sarah hatte ihn mit dem Fuß aus der Tür geschoben, als sei er ihr lästig.
Hinter Rhosmari atmete jemand ein, es klang wie ein Schluchzen. Erschrocken drehte sie sich um. In der Tür stand Sarah – doch sobald ihre Blicke sich begegneten, schlug die Frau die Hand vor den Mund und verschwand. Rhosmari folgte ihr, weil sie wissen wollte, warum sie sich so seltsam benahm. Sie holte sie am anderen Ende des
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