Rhosmari - Retterin der Feen
Bedürfnis, etwas zu sagen, das die Kaiserin aus der Fassung bringen würde. Wenn sie die freundliche Fassade auch nur einen kurzen Moment durchbrechen konnte, würde sie die Wahrheit wissen. »Martin meinte, Ihr wärt unter dem magischen Gesicht, das ihr tragt, in Wirklichkeit alt und runzlig.« Und sie fügte noch hinzu: »Und Ihr wärt früher ein Mensch gewesen.«
Doch die Kaiserin geriet keineswegs aus der Fassung. »Das stimmt«, sagte sie. »Ich habe in meiner Jugend einen Wettkampf im Zaubern gegen eine Rivalin verloren, und diese Rivalin überlegte, wie sie mich am besten demütigen könnte. Sie verwandelte mich in einen Menschen und schickte mich in die Welt hinaus. Ich war ohne Hilfe und ganz auf mich allein gestellt, und es dauerte viele Jahre, bis ich meine Zauberkraft zurückerobern und wieder eine Fee werden konnte. In dieser Zeit habe ich Einblicke in die menschliche Grausamkeit erhalten, die dir hoffentlich erspart bleiben.«
In ihre Augen trat ein wehmütiger Blick und sie strich sich mit den Fingern über die Wange. »Vergib mir meine Eitelkeit. Da meine eigene Schönheit verloren gegangen ist, trage ich stattdessen das Gesicht meiner alten Lehrerin Schneeglöckchen. Sie hat als Erste an meine Fähigkeiten geglaubt und mich gelehrt, was es heißt, eine Königin zu sein. Jetzt ist sie schon lange tot. Ihr Gesicht im Spiegel zu sehen … ist für mich eine Quelle der Inspiration.«
Rhosmari senkte den Kopf. Damit hatte sie keine Argumente mehr. Langsam faltete sie die Serviette auf, die neben ihrem Teller lag, und breitete sie auf ihrem Schoß aus. Dann nahm sie den Löffel und begann zu essen.
»Du siehst müde aus, meine Liebe«, sagte die Kaiserin, als Rhosmari am folgenden Morgen zum Frühstück herunterkam. Die Schwarzen Flügel und Veronica hatten das Haus schon früh verlassen und sie waren allein. »Hast du nicht gut geschlafen? Willst du lieber ein anderes Zimmer?«
Rhosmari schüttelte nur stumm den Kopf und nahm mechanisch ein Brötchen. Sie hatte die ganze Nacht wach gelegen und überlegt, wie sie fliehen konnte und ob sie es überhaupt tun sollte. Jedes Mal wenn ihr ein Grund einfiel, warum sie der Kaiserin nicht trauen durfte, musste sie an die vielen Gründe denken, aus denen dasselbe auch für die Rebellen galt.
Garan hatte den Namensstein gestohlen und damit Schande über die Familie gebracht. Timothy hatte einen besorgniserregenden Hang zur Gewalt – er hatte, wie ihr jetzt einfiel, einmal gesagt, dass er in der Schule aus nichtigem Anlass einen anderen Jungen verprügelt habe. Und Linde hatte alle ihre Informationen über die Kaiserin von Rob, der die Kaiserin genauso getäuscht und hintergangen hatte wie Martin Rhosmari. Inzwischen gab es niemanden mehr, dem sie vorbehaltlos vertraute.
Zugleich durfte sie freilich nicht vergessen, dass sie bei aller Gastfreundschaft der Kaiserin deren Gefangene war. Sie nahm ihren Mut zusammen, sah die Kaiserin an und fragte: »Wann lasst ihr mich wieder gehen?«
»Wohin denn?«, fragte die Kaiserin. »Zu den Rebellen? Du verstehst bestimmt, dass ich das nicht erlauben kann. Es wäre töricht, dich in die Hände meiner Feinde zu geben.«
»Dann …« Rhosmari umklammerte ihre Gabel. »Dann lasst mich stattdessen nach Hause gehen. Wenn ich sofort aufbreche, kann ich die anderen vielleicht noch davon abhalten, den Namensstein zu suchen. Vielleicht sind sie stattdessen bereit, mit Euch zu sprechen und eine Abmachung zu treffen …«
Sie verstummte, denn ein neuer, unangenehmer Gedanke war ihr eingefallen. Was war, wenn die Kinder des Rhys sich mit der Kaiserin gegen die Rebellen verbündeten? Was wurde dann aus Garan und seinen Gefährten?
»Welche anderen?«, fragte die Kaiserin. »Heißt das, es sind inzwischen noch mehr Kinder des Rhys in mein Reich gekommen?«
»Ich glaube, noch nicht«, sagte Rhosmari hastig. »Meine … ein Mitglied der Ältesten war der Ansicht, wir müssten eine größere Truppe ausschicken, um die Rebellen zur Rückgabe des Steins zu bewegen, aber als ich ging, war noch nichts entschieden. Wenn Ihr mich also gleich zurückkehren lasst …«
Die Kaiserin schüttelte den Kopf. »Ich brauche dich hier«, sagte sie. »Ich kann nur dich nach den Kindern des Rhys fragen und es gibt so vieles, was ich wissen will. Wenn deine Leute dich suchen kommen und zu Verhandlungen bereit sind – dann lasse ich dich vielleicht gehen. Aber ich muss mich darauf verlassen können, dass die Kinder des Rhys sich nicht in meine
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