Rhosmari - Retterin der Feen
war auf einmal wie ausgedörrt.
»Erzähle mir mehr über die Kinder des Rhys«, befahl die Kaiserin. »Erzähle mir alles, was du weißt.«
Als die Kaiserin sie endlich entließ, war Rhosmari übel vor Erschöpfung – und Scham. Noch lange danach hörte sie in Gedanken die leise Stimme, die ihr erbarmungslos eine Frage nach der anderen gestellt hatte. Und Rhosmari hatte alle Geheimnisse ihres Volkes und ihrer Heimat ausgeplaudert, über die sie unter anderen Umständen nie gesprochen hätte.
Es gab kaum noch etwas, das die Kaiserin nicht über die Grünen Inseln, die Kinder des Rhys oder Rhosmari selbst gewusst hätte. Sie wusste, in welche Aufregung der Verlust des Namenssteins die Rhyser versetzt hatte, warum Lady Celyns Rückholaktion Rhosmari so erschreckte und wie Rhosmari auf Gruffydds Weg zum Festland geflohen war, um selber nach Garan und dem Stein zu suchen. Außerdem wusste sie, wie bestürzt Rhosmari gewesen war, von der Zerstörung der Eiche zu erfahren (an dieser Stelle hatte sie gelächelt, was sie Rhosmari noch verhasster machte) und Llinos in Manchester zu begegnen (für ihn schien die Kaiserin sich aus einem unerfindlichen Grund besonders zu interessieren). Und als Rhosmari schon glaubte, auf dem Tiefpunkt angelangt zu sein und ihr Volk in jeder denkbaren Hinsicht verraten zu haben, zwang die Kaiserin sie, zum Anfang zurückzukehren und alle Fragen noch einmal zu beantworten.
Rhosmari ließ sich in den Sessel am Fenster ihres Zimmers fallen und drückte die Handballen an die Augen. Wie hatte sie sich auch nur für einen Augenblick von der Kaiserin täuschen lassen können? Oder sogar Mitleid für sie empfinden und sich einbilden können, sie hätten auch nur das Geringste gemeinsam? Die Vorstellung, niemandem trauen zu dürfen, war schon schlimm genug, aber allmählich glaubte Rhosmari, dass sie sich nicht einmal selbst trauen konnte.
Doch eins stand fest: Sie musste ihr Volk verständigen und es vor der Kaiserin warnen. Zwar konnte ohne Erlaubnis der Ältesten niemand die Grünen Inseln betreten, und nach der unliebsamen Begegnung mit Timothy und Linde würden die Ältesten auch nicht so schnell wieder Fremde bei sich willkommen heißen. Doch mussten sie darauf vorbereitet sein, etwaige Angebote der Kaiserin abzulehnen – oder sie am besten gar nicht anzuhören.
Aber wie sollte sie ihnen eine Nachricht zukommen lassen, solange sie hier in Waverley Hall festsaß und weder zaubern noch das Haus verlassen konnte?
Sogar der Mond draußen schien sie zu verspotten und verhieß Licht, wo sie doch nur Dunkel sah. Unwillig zog sie die Vorhänge zu und wandte sich vom Fenster ab.
In den folgenden Tagen nahm ihr Leben eine Art albtraumhafter Routine an. Nachts lag sie stundenlang wach und überlegte verzweifelt, wie sie ihren Fesseln entrinnen konnte. Am Morgen zwang sie sich, einige Bissen mit der Kaiserin zu frühstücken, dann zog sie sich so schnell wie möglich wieder zurück. Irgendwann vor Mittag oder kurz danach hörte sie die Schreie gefangener Feen, die in das Arbeitszimmer gezerrt wurden und nicht mehr herauskamen. Wenn alles ruhig war, fütterte sie Isadora und wechselte einige Worte mit Sarah. Anschließend wanderte sie bis zum Abendessen durch das Haus, dann saß sie stumm am Tisch und hörte den Gefolgsleuten der Kaiserin zu, wie sie sich mit ihren Erfolgen brüsteten und um die Gunst ihrer Herrin buhlten, und zuletzt kehrte sie in ihr Zimmer zurück und der ganze Kreislauf begann von Neuem.
Das Schlimmste war, dass sie immer mehr abstumpfte. Sie wusste zwar, dass die Kaiserin etwas im Schilde führte oder darauf wartete, dass etwas geschah, damit sie Rob und seine letzten Anhänger ergreifen und die Rebellion vollends niederschlagen konnte, doch schien es ihr nicht mehr wichtig. Warum auch, wo sie doch weder wusste, wo die Rebellen sich aufhielten, noch wie sie Kontakt mit ihnen aufnehmen sollte. Und wenn nur wenige der Zerstörung der Eiche entkommen waren, konnten sie ihr ja auch gar nicht helfen.
Doch dann begegnete sie eines Nachmittags, als sie gerade die Treppe hinuntersteigen wollte, Veronica, die den neuesten Gefangenen nach oben brachte, und alles änderte sich.
»Sieh mal, Martin«, sagte Veronica. Sie drehte den Kopf ihres Gefangenen mit den Händen in Rhosmaris Richtung. »Da ist deine kleine Freundin. Sag ihr guten Tag.«
Martin machte ein krächzendes Geräusch wie ein Vogel, der zu sprechen versucht. Die Haare hingen ihm in die Augen und seine Kleider waren
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