Rhosmari - Retterin der Feen
her, der sich vor ihr wand und drehte. Sie konzentrierte sich auf seine gesenkten Augen, die Haare, die ihm wirr in die Stirn fielen, und die Zähne, mit denen er sich auf die Unterlippe biss, während er sich rückwärts entfernte, und allmählich ließ ihre Angst nach. Sie fühlte sich nicht mehr eingesperrt und einsam und allein. Sie war zusammen mit einem Freund unterwegs und die enge Stelle war sowieso gleich vorbei.
Schweigend krochen sie weiter, bis die Muskeln in Rhosmaris Schultern brannten und Timothy vor Anstrengung das Gesicht verzerrte. Dann hielt er an. »Tür«, keuchte er. »Muss ihr einen Tritt geben.« Er ächzte, ein dumpfer Schlag ertönte und dann strich ein kühler Luftzug über sie. Timothy zwängte sich rückwärts aus der Röhre und rutschte nach unten, bis nur noch seine Arme und sein Kopf zu sehen waren. »Nimm meine Hand«, sagte er. »Ich ziehe dich raus.«
Rhosmari schob sich zu ihm und bekam ihn an den Fingern und dann an den Handgelenken zu fassen. Timothy zog und sie glitt heraus und fiel ihm geradewegs in die Arme. Er stolperte unter ihrem Gewicht nach hinten und ließ die Taschenlampe fallen. Die Taschenlampe rollte über den Boden und ihr Strahl wanderte über von Wurzeln durchzogene Wände und zwei weitere geschlossene Türen. In einiger Entfernung von ihren Füßen blieb sie liegen.
Überwältigt vor Erleichterung, die Röhre endlich hinter sich gebracht zu haben, hielt Rhosmari sich an Timothys Ärmeln fest und drückte die Stirn an seine Schulter.
»Äh …« Er räusperte sich und beim Weitersprechen klang seine Stimme plötzlich eine Oktave tiefer. »Wir müssen weiter. Kannst du gehen?«
Rhosmari ließ ihn widerstrebend los und bückte sich nach der Taschenlampe. Der Tunnel unter der Hecke war noch dunkler als die Röhre und roch muffig nach Laub und Erde. Doch die Wände waren hart und der Boden schien trocken zu sein. Nirgends waren Spinnweben, Insekten oder Löcher zu sehen. Vor allem aber war der Tunnel so hoch, dass sie aufrecht darin stehen konnten.
»Ja«, sagte sie. »Jetzt geht es mir besser.«
Die Tür am Ende des Tunnels war mit einer Schicht Erde bedeckt und so genau in die Wand eingepasst, dass Rhosmari sie gar nicht gesehen hätte, wenn der Griff, ein Messingring, nicht gewesen wäre. Sie zog daran, die Tür ging knarrend auf und dahinter kam der östliche Wurzelgang zum Vorschein. »Endlich«, murmelte sie und wollte eintreten. Doch Timothy hielt sie am Arm fest.
»Ich muss zum Haus zurückkehren«, sagte er. »Schaffst du es von hier alleine?«
Rhosmari knipste die Taschenlampe aus und gab sie ihm. »Bestimmt. Ich weiß jetzt, wo ich bin.«
Timothy sah sie an. Seine Miene war im Halbdunkel nicht zu erkennen. »Tja dann … gehe ich mal.«
Rhosmari nickte.
»Also.« Seine Stimme klang belegt. »Okay. Pass auf dich auf.« Er wandte sich zum Gehen.
»Timothy?« Rhosmari wartete, bis er sich umdrehte, und fuhr dann hastig fort: »Was du für mich getan hast, bedeutet mir sehr viel, wirklich.« Sie beugte sich vor und streifte seine Wange mit den Lippen.
Timothy hob die Finger an die Stelle, an der sie ihn geküsst hatte. Auf seinem Gesicht breitete sich ein ungläubiges Lächeln aus. »Gern geschehen«, sagte er. Dann ging er.
Rhosmari zog die Tür hinter sich zu und machte sich auf den Weg zum Haupttrakt der Eiche. Sie hatte gerade den leeren Speisesaal durchquert, da spürte sie plötzlich ein Kribbeln wie nach einem Blitz. Im nächsten Augenblick kamen einige Küchenmädchen aus der Küche gerannt. »Es geht los!«, kreischten sie. »Die Kaiserin ist da!«
»Macht euch nicht lächerlich«, rief Holly, die hinter ihnen aus der Küche getreten war. »Es ist doch noch nicht einmal richtig dunkel – ach hallo, Rhosmari.« Sie fuhr sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn. »Du hast wahrscheinlich schon von Hasenglöckchen gehört.«
Rhosmari nickte. Die Küchenarbeiterinnen hatten sich ängstlich in der offenen Mitte des Baums am Fuß der Wendeltreppe versammelt. Hinter ihnen stand in unruhigen Reihen eine Armee von Feen, alle bewaffnet. Einige trugen Bögen, deren poliertes Holz glänzte, und über den Schultern Köcher mit gefiederten Pfeilen, andere Schwerter und Messer aus blitzendem Stahl – Waffen, die wehtun sollten, verletzen und töten.
Rhosmari hatte nach einem Weg gesucht, die Kaiserin ohne Gewalt zu besiegen, aber keinen gefunden, und jetzt konnte nichts mehr die Schlacht verhindern. Die Feen der Eiche mussten kämpfen, um
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