Richard Castle
durch das geschlossene Fenster hinter ihm konnte sie das beruhigende geschäftige Treiben auf der New York Avenue zwölf Stockwerke unter ihnen hören. Nikkis einzige Antwort bestand in der Aussage, dass sie das Klavier in ihrem Wohnzimmer mied. Sie erzählte ihm, dass sie sich nicht dazu durchringen konnte, darauf zu spielen, und erklärte ihm warum, während er einfach nur zuhörte. Eine weitere Abneigung, die ihr bisher nicht bewusst gewesen war, war die entfremdete Beziehung zu ihrem Vater. Nikki hatte diese Distanz bisher immer ihm zugeschrieben, aber das Thema in dieser Sitzung anzusprechen, mochte dem Öffnen der Büchse der Pandora gleichkommen, also beließ sie es beim Klavier und fragte sogar, ob das etwas Schlechtes sei.
„Es gibt kein gut oder schlecht. Wir unterhalten uns einfach und sehen, was dabei für ein Bild entsteht.“
„Toll.“
„Lebt Ihr Vater noch?“ War dieser Kerl Psychologe oder Parapsychologe? Nikki erzählte ihm von der Scheidung und schuf das Bild einer distanzierten, aber herzlichen Beziehung. Sie stellte es so dar, als ginge die Entfremdung von ihrem Vater anstatt von ihr aus, was zumindest teilweise stimmte. „Wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt zu Ihrem Vater?“
„Vor ein paar Stunden. Ich rief ihn an, um einen Schaden zu begrenzen, den mein Captain angerichtet hatte. Er hat eine Ermittlerin zu ihm geschickt, um ihn zum Mord an meiner Mutter zu befragen.“
„Also haben Sie Kontakt zu ihm aufgenommen.“ Heat bejahte das deutlich, da sie wusste, dass Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung oft die Menschen mieden, die sie mit dem Trauma verbanden. „Und wie hat Ihr Dad es aufgenommen?“
Nikki erinnerte sich an seine Reaktion. „Sagen wir einfach, er hätte aufmerksamer sein können.“ Der Therapeut hakte nicht weiter nach, sondern stellte Fragen zu ihren anderen Beziehungen, und sie sagte: „Aufgrund meiner Arbeit ist es schwer, eine Beziehung aufrechtzuerhalten, wie Sie vermutlich wissen.“
„Warum erzählen Sie mir nicht davon?“
Nikki fasste wahrheitsgemäß, aber gleichzeitig so knapp wie sie konnte, ihre Beziehungen aus den letzten paar Jahren zusammen, von denen die längste und aktuellste die mit Don gewesen war. Sie erzählte King die gleiche Version, die sie auch Detective Caparella in der vergangenen Nacht mitgeteilt hatte: Ihr Nahkampftrainingspartner mit Vorzügen. Als Nächstes erzählte sie ihm von Jameson Rook. Er unterbrach sie nur kurz, um zu fragen, ob das der berühmte Journalist sei. Nikki benutzte diese Tatsache als Einstieg, um zu beschreiben, wie sie sich im Zuge seiner Begleittour im letzten Sommer kennengelernt hatten, und dass sie und Rook einander treu gewesen waren, obwohl sie nie ausdrücklich darüber gesprochen hatten. Seit sie Rook getroffen hatte, war sie weder mit Don noch mit jemand anders zusammen gewesen.
„Wie kommen Sie nach dem Angriff von letzter Nacht zurecht?“
„Es ist schwierig.“ Tränen drohten sich in ihre Augen zu schleichen, als sie an den armen Don dachte, aber sie hielt sie zurück. „Hauptsächlich versuche ich, das Ganze erst mal zu verdrängen.“
„Und als Sie letzte Nacht mit Don zusammen waren, handelte es sich um etwas rein Platonisches?“
„Ja“, stieß Nikki hastig hervor.
„Das war eine nachdrückliche Antwort. Ist das ein sensibles Thema?“
„Eigentlich nicht. Don und ich hatten gerade zusammen trainiert. In unserem Fitnessstudio. Und er ist mit zu mir gekommen, um zu duschen. Und dann kam der Angriff mit dem Gewehr.“
„Er wollte duschen. Und wo befand sich Mr. Rook?“
„Bei sich zu Hause. Wir hatten uns gestritten, und ich … musste ein wenig Dampf ablassen.“ Lon King legte die Anmeldeunterlagen beiseite, faltete seine Hände in seinem Schoß und betrachtete sie. Da ihr die Stille unangenehm war, sagte sie: „Ich gebe zu, dass ich mit dem Gedanken gespielt habe, ihm fremdzugehen, aber …“
„Sie sagten, Sie und Mr. Rook hätten nie ausdrücklich festgelegt, dass sie während Ihrer Beziehung nicht auch andere Partner haben könnten.“
„Nein, aber …“
„Worum ging es bei diesem – Spielen mit dem Gedanken, wie Sie es nennen – Ihrer Meinung nach?“
„Ich weiß nicht.“ Und dann überraschte Nikki sich selbst, indem sie fragte: „Wissen Sie es?“
„Nein, das wissen nur Sie“, erwiderte er. „Die Leute machen ihre eigenen Regeln darüber, was Treue bedeutet und wann sie jemanden betrügen. Genauso wie sie ihre eigenen Gründe dafür
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