Richard Dübell
haben. Sie tanzen nach Konstantins Pfeife, und zwar seit elf Jahren, und Ihnen geht es nicht darum, ihn unschädlich zu machen, sondern darum, zu beweisen, dass Sie der Beste sind.«
»Sie haben keine Ahnung, worum es wirklich geht …«, flüsterte Harald, und diesmal hörte Peter so viel Verzweiflung aus den Worten von Floras Exmann, dass er fast Mitleid mit ihm empfand. »Diesmal kriege ich ihn – und niemandem wird ein Haar gekrümmt, schon gar nicht Ihren Freunden. Sind Sie vernünftig? Dann lasse ich Sie jetzt los. Sie können mir helfen, Konstantin zur Strecke zu bringen.«
»Ich bin vernünftig«, sagte Peter.
»Kann ich mich darauf verlassen?«
»Pfadfinderehrenwort.«
Harald ließ die Pistole sinken und gab Peter frei. Peter richtete sich halb auf.
»Unter meinen Freunden im Burgstall«, sagte er langsam und mit Bedacht, »ist auch Flora …«
»Werden Sie glücklich mit ihr«, knurrte Harald abfällig, der sich wieder an die Überwachung des nun fast nachtdunklen Walds gemacht hatte.
»… und Ihre Tochter Julia.«
Harald wandte sich überrascht zu Peter um. Peter schlug ihm die Faust gegen den Kiefer. Er hatte seine ganze Kraft und das nicht unbeträchtliche Gewicht des Kettenhemds in den Schlag gelegt. Harald prallte zurück und mit dem Hinterkopf gegen den Baum. Die Pistole wirbelte davon und verschwand im kniehohen Farnkraut. Harald sackte in sich zusammen und schüttelte halb betäubt den Kopf. Peter spürte den Schmerz der aufgeplatzten Haut an seinen Knöcheln und fluchte.
»Ich war im Fußballverein, nicht bei den Pfadfindern«, sagte er zu Harald, der stöhnend versuchte, auf die Beine zu kommen, aber wieder auf die Knie sank.
Eilig tastete Peter unter den Farnwedeln nach der Pistole. Er konnte sie nicht finden. Er brauchte sie nicht. Er sprang auf und rannte ein paar Schritte auf die Lichtung hinaus. Es kam jetzt darauf an, Flora und die anderen zu warnen und hier wegzubringen.
Er hörte das charakteristische Schnappen einer Pistole, die gespannt wird, und dann Haralds Stimme: »Bleiben Sie stehen.«
Peter hielt an und drehte sich um. Harald war nicht mehr als ein dunkler Umriss zwischen den Schatten, während Peter auf der Lichtung stand wie eine beleuchtete Zielscheibe. Er hörte Harald ausspucken; sein Mund musste voller Blut sein. Bei all seiner Angst um die Geisterführungsgruppe fühlte Peter die archaische Genugtuung, es einem Gegner ordentlich gegeben zu haben.
»Haben Sie gedacht, ich hätte nur eine Waffe dabei?«, fragte Harald. »Kommen Sie her, Sie Narr!«
»Ich gehe jetzt die anderen warnen«, sagte Peter. »Sie müssen mir schon in den Rücken schießen, wenn Sie mich aufhalten wollen.« Er wandte sich ab. Zwischen seinen Schulterblättern blühte ein Kribbeln auf, das ihm eine Gänsehaut über den Körper jagte. Er fühlte förmlich die Waffe, die auf ihn zielte. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie einen Unschuldigen erschießen würden, um einen Verbrecher dingfest zu machen.«
»Seien Sie sich da nur nicht zu sicher!«, stieß Harald hervor. »Kommen Sie zurück! Jetzt sofort.«
Peter holte tief Luft. Er hatte das Gefühl, dass sie nicht in seinen Lungen ankam. Das Kettenhemd war so schwer wie nie.
Er wollte sagen: Wenn Sie mich aufhalten wollen, müssen Sie abdrücken.
Er kam nicht dazu, weil sich das Handy in der Gürteltasche seines Schwertgurts mit dem Vibrationsalarm meldete. Er hatte den Klingelton ausgeschaltet, um die Illusion der Geisterführung nicht zu zerstören – ein Gedanke, der ihm jetzt, in seiner neuen Lage, vorkam, als hätte er ihn vor tausend Jahren auf einem anderen Planeten gefasst.
»Was ist das?«, rief Harald.
»Mein Telefon.« Peter schnappte sich das Mobiltelefon, ohne abzuwarten, was Harald dazu sagen würde, und schaute aufs Display.
»Das ist Flora«, sagte er. Er nahm den Anruf entgegen.
Floras Stimme hörte sich merkwürdig an, und noch merkwürdiger war, was sie hastig zu ihm sagte.
»Ah … hallo, Harald ? Harald … äh … bist du dran, Harald ? Ich … hier möchte dich jemand sprechen, Harald …«
Verwirrt und zunehmend entsetzt hörte Peter daraufhin eine ironische Männerstimme: »Herr Kriminaloberrat Sander? Schon wieder Sie und ich … Wollen Sie das Ganze auch heute aus der Nähe ansehen? Ich habe fast vierzig Geiseln in meiner Gewalt, darunter dreißig Kinder und die Frau, mit der Sie noch so viel Respekt und Freundschaft verbindet, und ich möchte, dass Sie mir genau
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