Richard Dübell
abgewandt und murmelte leise in ein Mobiltelefon.
Flora hatte sich gesetzt und deutete auf den freien Stuhl neben sich. Peter folgte ihrer Einladung. Wie ärgerlich sie auch immer auf ihn sein mochte – wenn sie bei irgendeinem Anlass zusammen waren, setzte sie sich lieber an einen anderen Tisch, als nicht neben ihm zu sitzen. Er nahm es als Zeichen wieder zurückgekehrter Eintracht, doch als er sich zu ihr beugte und sie fragte, ob sie gut geschlafen hätte, antwortete sie nicht. Sie fixierte den Tisch vorn an der Stirnseite und hatte eine steile Falte zwischen den Augenbrauen.
Michael Maier räusperte sich.
»Guten Morgen, Kollegen«, sagte er. »Sorry, dass ich auch diejenigen hergebeten habe, die heute dienstfrei haben, aber es ist wichtig, dass wir alle …«
Der dritte Mann vorn am Tisch hörte auf zu telefonieren und erhob sich. »Guten Morgen!«, sagte er in einem Ton, der sich anhörte wie: Maul halten, ihr Pfeifen!
Maier blinzelte überrascht. Die Polizisten im Raum sahen sich an; ihr Chef genoss allgemeinen Respekt, und jedem stieß es sichtlich sauer auf, dass er einfach unterbrochen worden war.
Peter wandte sich an Flora, doch seine bissige Bemerkung blieb ihm im Hals stecken. Flora war blass geworden und starrte mit offenem Mund nach vorn.
»Es geht um Einbruchsdiebstahl und Mord«, sagte der Mann mit der Lederjacke. »Ein Mord fand in der Nacht von gestern auf heute in München statt.«
Im Raum erhob sich großes Gemurmel. München war eine Millionenstadt, aber Kapitalverbrechen wie ein Mord waren für die bayerische Landeshauptstadt eher selten. Die Kollegen in München mussten heute Nacht alle auf den Beinen gewesen sein.
»Verflucht«, sagte Flora. Aber es war klar, dass sie nicht den Mord meinte, sondern den Mann, der dort vorn stand und darüber berichtete.
Peter, der ihr gerade hatte zuflüstern wollen, was er heute Morgen von Sabrina Hauskeck erfahren hatte, war über ihre Erschütterung so erstaunt, dass er seine Bemerkung vergaß.
»Ich bin der Leiter der SOKO ›Wettin‹, die ihre Zentrale bei der Kripo in München hat und mit dem Fall befasst ist«, fuhr der Mann mit der Lederjacke fort. »Dies ist mein Stellvertreter, Kommissar Robert Kalp. Einige von Ihnen kennen mich vielleicht noch von früher, als ich hier in Landshut diverse Ermittlungen geleitet habe.« Er lächelte ein Filmstarlächeln in einen Raum, aus dem nicht zurück-gelächelt wurde. »Ich bin Kriminaloberrat Harald Sander.«
»Darauf kannst du stolz sein«, murmelte Flora.
Nun starrte Peter mit offenem Mund nach vorn.
Der sportliche Typ mit dem romantisch dichten, halblangen Haarschopf und dem gutgeschnittenen Gesicht war Floras Exmann? Den sie, wenn überhaupt, nur mit bösen Worten erwähnt hatte, von denen »Arschloch« noch das schmeichelhafteste war?
»Verflucht«, sagte nun auch Peter, und ebenso wenig wie Flora meinte er den Fall, den Harald Sander in knappen Worten umriss. Irgendetwas klingelte in seinem Hinterkopf, eine Verbindung … Weswegen hatte Sabrina Hauskeck gleich wieder bei ihm angerufen? Um ihn an ihren Esstisch und dann in ihr Bett zu bekommen, sicher – aber ihm war, als hätte sie noch einen Grund genannt. Er kam nicht drauf; er hatte sich angewöhnt, bei achtzig Prozent dessen, was die Staatsanwältin erzählte, auf Durchzug zu schalten.
»Wir sind hier in Landshut, weil eine Spur in Ihre Stadt weist«, erklärte Sander. »Sie ist nicht besonders vielversprechend, daher sind Herr Kalp und ich alleine hier. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass es oft die unscheinbare Spur ist, die zum Ziel weist, weil sie auch für den Täter zu unwichtig erscheint, als dass er sich um sie kümmern würde.« Er lächelte erneut und erntete erneut reglose Mienen. Ein Sonderermittler aus München, der es an Respekt gegenüber ihrem Chef fehlen ließ, musste schon mehr als herablassende Anerkennung zeigen, um bei den Landshuter Polizeibeamten punkten zu können.
»Der Täter hat bereits zwei Menschen auf dem Gewissen. Ein Opfer gab es in Wittenberg, der Tote von heute Nacht war ein Juwelier. Beide Opfer wurden kaltblütig erschossen. Nur damit Sie wissen, welchen Charakter wir hier verfolgen.«
Peter hatte nur mit halbem Ohr zugehört. Die unwillkürliche Reaktion von Robert Kalp auf Haralds Beschreibung, wie der Juwelier ermordet worden war, hatte ihn abgelenkt. Kalp hatte kurz die Augen geschlossen, und sein Adamsapfel hatte gearbeitet, als hätte er etwas Sperriges hinunterschlucken
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