Richard Dübell
Blofeld schwieg einen Augenblick. Harald holte Atem, doch da sprach der Geiselnehmer weiter. »Und wenn mir irgendwas anderes nicht passt, ist die Geisel auch tot. Strengen Sie sich an, Sie haben nur insgesamt drei Leben, die Sie verspielen können, und eines ist schon weg!«
»Schön, dass wir uns endlich kennenlernen«, erwiderte Harald und ließ seine Stimme so hart klingen wie möglich. »Wissen Sie, wer ich bin? Ich bin Kriminaloberrat Harald Sander – der, der Ihnen seit dem Frühjahr auf den Fersen ist, und der, der Sie heute Abend noch hochnehmen wird. Es liegt an Ihnen, wie wir Sie von hier wegbringen – auf eigenen Beinen oder im Leichenwagen. Bleiben Sie mit Ihrer Geisel, wo Sie sind, und hören Sie mir …«
Robert stieß Harald in die Seite. Die Haustür des Anwesens öffnete sich einen Spalt.
»Ich hab Ihnen gerade gesagt, was Sie tun sollen …«, begann Harald. Er unterbrach sich und lauschte. »Hallo?«, fragte er unwillkürlich.
»Aufgelegt?«, raunte Robert.
Harald nickte. »Scheißkerl. Dann eben auf die harte Tour.«
»Was macht er denn so lange?«, stieß der SEK -Beamte hervor, der wieder zu ihnen herübergekommen war. Der Türspalt hatte sich nicht mehr verbreitert.
»Sind Ihre Präzisionsschützen einsatzbereit?«
Der Beamte zuckte mit den Schultern. »So wie immer.«
»Haben Ihre Leute mitgekriegt, dass Blofeld schon eine Geisel erschossen hat?«
Der Teamleiter musterte Harald. »Ja«, sagte er schließlich langsam.
»Gut!«
Die Haustür öffnete sich plötzlich weiter. Etwas kam heraus, das auf den ersten Blick wie ein großes Tier wirkte. Harald starrte es überrascht an. »Verdammt«, flüsterte er dann. »Verdammt!«
Das große Tier waren zwei Menschen, die sich unter einer Decke eng zusammendrängten. Der SEK -Beamte fluchte. Blofeld wusste genau, was er tat. Auf diese Weise würde kein Schütze einen Treffer setzen können. Robert sah, wie zwei der schwarzgekleideten SEK -Präzisionsschützen, die hinter Polizeifahrzeugen in Deckung lagen, die Gewehre sinken ließen. Robert versuchte, die Decke mit Blicken zu durchdringen.
Schweigend stolperten die verhüllten Gestalten den kurzen Weg bis zum Tor des Anwesens und blieben dort stehen. Das Handy klingelte erneut.
»Mir sind zu viele Zuschauer da draußen«, sagte Blofeld leise. »Zieht euch hinter die Absperrbänder zurück. Alle. Auch die Scharfschützen. Und macht die Scheinwerfer aus. Sofort.«
»Schießen Sie sie doch aus«, sagte Harald.
»Warum sollte ich das tun, wo es doch reicht, meiner Begleiterin hier eine Kugel zu verpassen, damit ihr spurt.«
Haralds Kiefermuskeln zuckten. Er wandte sich an den SEK -Beamten. Dieser schüttelte den Kopf.
»Wir ziehen uns nicht zurück, ganz egal, was ein Geiselnehmer fordert. Das wissen Sie so gut wie ich.«
»Ich übernehme die Verantwortung.«
Der SEK -Einsatzleiter murmelte etwas in sein Funkgerät. Die Scheinwerfer erloschen. Die zwei Präzisionsschützen hinter den Streifenwagen standen auf, schulterten ihre Gewehre und trotteten zur Absperrung. In den Nachbargärten erhoben sich weitere vermummte Gestalten und zogen sich zurück.
Harald drückte den Rückrufknopf. Blofeld meldete sich nach dem dritten Klingeln.
»Alles ist so, wie Sie es wünschen«, sagte er. »Lassen Sie Ihre Geisel gehen.«
»Und was ist mit Ihnen, Herr Kriminaloberrat Harald Sander?«, fragte Blofeld. »Ich hab gesagt: Alle müssen hinter die Absperrbänder. Ich will niemanden in der Nähe der Corvette auch nur riechen.«
»Ich sehe mir das Ganze gerne aus der Nähe an«, knurrte Harald.
Robert seufzte.
»Ich zähle bis fünf«, sagte Blofeld. »Dann sind Sie weg, oder Sie können aus der Nähe zusehen, wie sich die Frau des Juweliers ein Ding einfängt.«
Die von der Decke verhüllten Gestalten standen leise schwankend beim Tor des Anwesens. Robert versuchte erneut zu erkennen, wo sich unter dem Stoff der Verbrecher und wo die Geisel befand. Es war unmöglich. Sein Herz hämmerte, als würde er einen Berg hinaufsprinten.
»Wenn Sie Ihre Geisel umlegen, haben Sie keinen Schutz mehr«, erinnerte Harald. »Wir schießen dann auf den, der noch aufrecht steht.«
»Cool«, erwiderte Blofeld unbeeindruckt.
»Irgendwann gehen Ihnen die Geiseln aus«, sagte Harald. »Was dann?«
Der SEK -Beamte starrte Harald fassungslos an. Harald gab den Blick ausdruckslos zurück. Robert krümmte sich innerlich. Nicht zum ersten Mal hatte er das starke Gefühl, sich für seinen Chef fremdschämen zu
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