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Richard Dübell

Richard Dübell

Titel: Richard Dübell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allerheiligen
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Zimmergenossen loszuwerden. Der Mann lauschte jedem Wort. Er wechselte einen Blick mit Flora. Flora nickte, stand auf und trat zu dem Bett.
    »Haben Sie Fotos von der Familie Ihres Sohnes?«, fragte sie. »Darf ich die mal ansehen? Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen Bilder meiner Tochter zeigen. Sie ist schon vierzehn. Die Kinder wachsen schneller, als man selber wahrhaben will, nicht wahr?«
    Der Kahlkopf sah Flora vollkommen überrascht an, dann begann er mit einer zitternden Hand in einer Schublade seines Nachttischchens zu kramen. Ein knallbuntes, billiges Plastik-Einsteckalbum in Postkartengröße mit einer aufgedruckten Aufschrift kam zum Vorschein. Als Flora das Album in die Hand nahm, konnte Peter Muitos cumprimentos entziffern.
    Peter wandte sich ab und Tristan Heigl zu. Der hielt seinem Blick weiterhin wortlos stand. Er war ein stämmiger Mann mit rundlichem Gesicht, zu langem, mattgrauem Haar, das auf dem Scheitel eine kahle Stelle aufwies wie eine Mönchstonsur, farblosen Augen und einem schmallippigen Mund, der von einem Kranz kleiner tiefer Falten umgeben war. Man konnte sich vorstellen, wie dieser Mund sich zusammenpresste, wenn seinem Besitzer etwas gegen den Strich ging. Jetzt zitterten lediglich die Mundwinkel.
    Flora und der Kahlkopf im Bett murmelten miteinander. Halb zusammengeklebte Albumseiten wurden aufgezwungen.
    Peter legte seinen Ausweis auf den Tisch. »Ich bin von der Landshuter Kripo«, sagte er leise. In seinem Rücken hörte er, wie Flora rief: »Acht Enkelkinder haben Sie? Respekt!«, und wie der Kahlkopf antwortete: »Das sind nicht alles meine Enkel. Ich weiß aber nicht, welche davon meine Enkel sind. Hab sie ja noch nie gesehen.«
    »Steht das denn nicht hinten auf dem Foto?«, fragte Flora.
    »Keine Ahnung, ich kriege die Dinger nicht raus. Hier – machen Sie aber nichts kaputt!«
    »Herr Heigl?«, fragte Peter. »Haben Sie mich verstanden?«
    Heigl hob den Blick von Peters Ausweis und sah ihm wieder in die Augen. Dies war die einzige Reaktion.
    »Herr Heigl?« Peter fühlte, wie die Resignation in ihm hochstieg.
    Die Tür wurde aufgestoßen, und eine der beiden Pflegerinnen, die vorhin den an den Rollstuhl gefesselten Heimbewohner zum Waschen gebracht hatten, kam herein.
    »Ejs giebt Abendmahl!«, rief sie mit fröhlichem polnischem Akzent, begleitet vom Scheppern des Tablettwagens, den sie hinter sich herzog.
    Peter nahm seinen Ausweis an sich und stand auf. Tristan Heigl folgte ihm mit den Blicken. Es war, als ob die Pflegerin gar nicht hereingekommen wäre. Tristan Heigls Mundwinkel zitterten jetzt stärker. Peter beugte sich zu ihm hinab. »Ja? Wollen Sie etwas sagen, Herr Heigl?«
    Die schmalen Lippen öffneten sich und zuckten ein paar Sekunden, als ob Heigl versuchte, etwas in Worte zu kleiden. Dann schloss er den Mund wieder. Seine Finger kratzten über den Tisch.
    »Mei, dr Herr Heijgl«, sagte die Pflegerin. »Dr redt niech mit eijnem, jo?«
    Flora gab dem Kahlkopf, dessen Interesse an einer gemeinsamen Durchsicht der Fotos angesichts des Abendessens erloschen war, das Album zurück und kam zu Peter.
    »Ich glaube nicht, dass wir hier viel erreichen«, murmelte sie nach einem Blick auf Heigl. Sie drehte dem alten Mann den Rücken zu. »Lass uns gehen und endlich so tun, als hätten wir heute dienstfrei. Außerdem stellen sich mir die Haare auf, wenn er einen so anschaut. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob er uns überhaupt wahrnimmt …«
    Ein schriller elektronischer Ton und ein abgehacktes Brummen durchbrachen das Besteckgeklapper, mit dem die Pflegerin dem Kahlkopf das Essen im Bett servierte. Tristan Heigls Mobiltelefon vibrierte auf dem Tisch im Takt mit dem Klingelton. Heigls Blicke wanderten zu dem kleinen Gerät. Seine Finger zuckten jetzt krampfhaft, und so etwas wie ein Ausdruck schlich sich in sein starres, vom Schlaganfall halb gelähmtes Gesicht. Der Ausdruck konnte alles Mögliche von höhnischer Freude bis totaler Panik sein. Er machte keine Anstalten, es aufzunehmen. Es klingelte ein paarmal, dann war es wieder still.
    »Wollten Sie nicht rangehen?«, fragte Peter.
    Heigl starrte ihn an.
    Peter fühlte Floras Hand auf seinem Arm. »Gehen wir«, sagte sie leise. »Da ist nichts mehr zu wollen.«
    »Abr essen tut’r, dr Herr Heijgl«, sagte die Pflegerin. »Gell, Herr Heijgl, schmecken tut’s?«
    Sie traten zurück, als die Pflegerin das zugedeckte Plastikgeschirr auf den Tisch stellte.
    »Du hast recht«, sagte Peter.
    Flora verabschiedete sich von

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