Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
wohl in diesem Stuhl.
»Als erstes das Geständnis, der Formalität wegen. Ich habe Oborins Tod verschuldet.«
»Sie meinen also«, wollte Lukastik es genau wissen, »Sie haben ihn umgebracht.«
»Das kann man so einfach nicht sagen.«
»Dann sagen Sie es kompliziert«, schlug der Polizist vor.
»Sie haben sicherlich diesen blauen Teller in meinem Zimmer gesehen.«
»Den Teller fürs Tauchen?«
»Präzise gesagt, handelt es sich um eine Apnoe-Disziplin.«
»Apnoe?«
»Griechisch«, erklärte Sternbach. »Es bedeutet Windstille beziehungsweise Atemlosigkeit . Wobei ich es immer netter fand, von Windstille zu sprechen. Windstille im Körper. Eine schöne Vorstellung. Nun, weniger poetisch gesprochen handelt es sich um Tieftauchen mit konstantem Gewicht. Tauchen ohne Gerät, bloß mit speziellen Flossen und spezieller Maske, dazu ein wenig Blei um die Taille. Eine Leidenschaft meiner Jugend. Sie kennen vielleicht diesen Film von Luc Besson, The Big Blue .«
»Tut mir leid, nein.«
»Jedenfalls war ich derart begeistert, daß ich ernsthaft mit dem Training begonnen habe, obwohl ich bis dahin kaum in der Lage gewesen war, meinen Kopf unters Wasser zu halten. Aber mich hatte plötzlich das Gefühl gepackt, ein Talent dafür zu besitzen, die Luft anzuhalten. Talent für die Windstille.«
»Talent?« zeigte sich Lukastik ungläubig.
»Sagen wir«, schlug Sternbach vor, »daß ein jeder Mensch für zwei, drei Dinge im Leben geboren ist. Sonst gebe es ihn gar nicht, diesen bestimmten Menschen, meine ich. Man muß halt erkennen, was für zwei, drei Dinge das sind, da man ansonst das Gefühl quälender Sinnlosigkeit nicht los wird. In meinem Fall war es das Tieftauchen und der Beruf des Friseurs.«
»Mit dem Tauchen mußten Sie aufhören, nehme ich an«, sagte Lukastik und griff sich unwillkürlich ans Ohr.
»Ja. Ich hatte zwar das Talent zum Tieftauchen … und so ein Talent mag ja ohne Grenze sein, aber der Körper ist es nicht. Mein Rekord im Juli des Jahres 93 blieb nicht folgenlos. Die Komplikationen ergaben sich zwar glücklicherweise erst nach dem Auftauchen, waren aber fatal genug. Ich fiel in ein … ich nenne es mein kleines Koma . Als ich nach gut fünf Wochen daraus erwacht war, war das ungefähr wie nach einem langen, schlechten Schlaf, wie nach zuviel Alkohol. Geblieben ist mir eine Schwerhörigkeit auf beiden Ohren. Ein Souvenir meines Tiefenrekords und meines kleinen Komas. Die linke Seite ist zu stark betroffen, als daß ich auf eine Hörhilfe verzichten könnte. Rechts geht es besser. Es ist eine Frage des Geschicks, den Leuten das bessere Ohr hinzuhalten, ohne daß man deshalb auf seine Umwelt wie ein lebender Scherenschnitt wirkt.«
»Was ist mit Oborins Ohren?« fragte Lukastik.
»Soweit ich weiß, funktionierte sein Gehör ausgezeichnet.«
Lukastik sprach jetzt von Dr. Paul, der behauptet hatte, der kleine Hörapparat, der im Schwimmbecken sichergestellt worden war, würde zu Oborin gehören.
»Nun, es mag zwar sein«, sagte Sternbach, »daß die Gehörgänge der Menschen sich unterscheiden, aber wir reden hier schließlich nicht von verschiedenen Schuhgrößen. Ihr Arzt muß geschlampt haben oder aber unser beider Ohren – ich meine natürlich das Ohr Oborins und mein eigenes – sind sich so ähnlich, daß es zu diesem Irrtum kommen konnte. Tut mir leid, aber mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich habe nie unser beider Gehörgänge verglichen. Es waren ja nicht die Ohren, die zwischen uns standen.«
»Dann ist es also eindeutig Ihr Gerät, das wir in der Nähe des Toten fanden«, folgerte Lukastik.
»Ja. Ein dummes Mißgeschick. Als ich den toten Oborin in den Pool befördert habe, ist wohl passiert, was auf Grund der perfekten Paßform eigentlich nie hätte passieren dürfen. Mir muß die Kapsel aus dem Ohr gerutscht und ins Wasser gefallen sein. Ohne daß mir dies sogleich aufgefallen wäre.«
»Die Stille auf dem Dach«, meinte Lukastik nachdenklich.
»Es gibt keine Stille«, erklärte Sternbach, »die nicht auch eine Stimme besitzt, die man leiser oder lauter wahrzunehmen vermag. Nein, ich hätte die Veränderung der Akustik bemerken müssen. Aber ich war vermutlich wie in Trance. Beziehungsweise ziemlich angestrengt. Ein toter Mann ist kein Leichtgewicht. Auf jeden Fall war es zu spät, als mir dann bewußt geworden ist, daß ich ausgerechnet in der Nähe von Oborins Leiche ein wichtiges Stück meines Körpers verstreut hatte. Eine sehr individuelle Prothese. Allerdings war
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