Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
bedenkt.«
    »Geringfügig? Finden Sie? Sie hätten Oborin erleben müssen. Er hat immer wieder auf diese Hölderlin-Geschichte angespielt. Er konnte nicht aufhören damit, genoß es. Er hat mitunter gezittert vor Freude, wenn ihm wieder irgendeine hirnrissige Paraphrase auf das ›Wem sonst als Dir‹ eingefallen ist. Doch in Anwesenheit Dritter hat er kein Wort darüber verloren. Er wollte, daß die Sache unter uns bleibt. So wie man die Abartigkeit, jemand auszupeitschen, ja auch nicht an die große Glocke hängt.«
    »Sie aber«, erwiderte Lukastik, »Sie hätten davon sprechen können.«
    »Keineswegs. Auch der Ausgepeitschte hält seinen Mund. Schließlich wäre es nicht minder demütigend gewesen, hätte ich überall herumerzählt, Herr S. zu sein. Herr S., der Wortpirat. Um auf diese Weise auch noch Werbung für Oborins dummes Buch zu machen.«
    Lukastik blickte ins Leere. Irritiert und ungläubig. Natürlich kam es immer wieder vor, daß aus den geringsten Anlässen heraus Morde geschahen. Die Kleinlichkeit der Leute, ihre dünne Haut, in Beleidigtsein schien fundamental, angeboren, naturgesetzlich. Je belangloser der Grund, desto bedeutender das Gefühl der Kränkung. Und mitunter war diese Kränkung nur noch mittels einer Tötung oder eines herbeigeführten Unfalls zu tilgen. Es geschah unentwegt. Mitunter wurden ganze Familien ausgerottet. Daß man aber wegen einer solcher Sache  …
    Während Lukastik jetzt über die Sache nachdachte, legte sich sein Unglaube. Warum denn nicht? Warum sollte es nicht sein, daß ausnahmsweise ein Hölderlinscher Satz, eine betörend einfache und betörend direkte Zueignung das Motiv für einen Mord lieferte? Warum sollte in diesem Wust aus Beleidigungen und Demütigungen, den die Menschen tagaus, tagein erfuhren und der sie an den Rand eines Mordes brachte, wenn nicht über diesen Rand hinaus, warum sollte darunter nicht auch die Kränkung fallen, die ein ehemals tieftauchender Friseur erlitt, indem jene wundervolle Widmung – wahrscheinlich das Schönste, was ihm je in seinem Leben in Form von Worten gelungen war – dazu führte, mit einem Mal, aber völlig zu Unrecht, als Dieb und Betrüger dazustehen? Noch dazu als ein namenloser Betrüger.
    Lukastik geriet innerlich ins Schwelgen. Das kam hin und wieder vor, daß er praktisch mit einem Atemzug die Seite wechselte. So auch jetzt. Sternbachs Motiv erschien ihm plötzlich plausibel, plausibler als so mancher schnöde Raubmord oder Banküberfall. Und nicht nur plausibler, auch sehr viel ehrenvoller.
    Allerdings behielt Lukastik im Kopf, daß er nicht hier saß, um über die Schönheit und Würde eines Motivs zu reflektieren, sondern eine Aufklärung zu betreiben. Eine Aufklärung, die er zu einem Ende führen wollte, bevor Major Albrich sich seinerseits entschloß, die Art des Endes zu bestimmen.
    »Es verwundert mich«, setzte Lukastik das Gespräch fort, »daß Sie der Geliebten Oborins, Esther Kosáry, nie zuvor begegnet sind.«
    »Und mich hat verwundert«, sagte Sternbach, der nun wieder ruhig und entspannt wirkte, wie nach einem kleinen Anfall, »daß Sie mir dieses halbe Kind aufgedrängt haben. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Anstatt mich zu verhaften, schicken Sie mich nach Ungarn. Originell und ziemlich schräg.«
    »Das ist keine Antwort auf meine Frage«, insistierte Lukastik.
    »Was weiß ich?« gab sich Sternbach gleichgültig. »Jedenfalls hat Oborin vermieden, daß ich sein Mädchen kennenlerne. Keiner von uns kannte Esther Kosáry, keiner aus Oborins Kreis. Er hat nie auch nur ein Wort über sie verloren. Es war, als existiere sie gar nicht, obwohl natürlich darüber geredet wurde. Man hat allgemein von ›Oborins Spielzeug‹ gesprochen. Die Leute haben sich weiß Gott was vorgestellt.«
    »Und Sie?«
    »Das war nicht mein Thema.«
    »Esther Kosáry hat von einem älteren Mann erzählt, mit dem Oborin hin und wieder eine Tauchreise unternommen haben soll.«
    »Den können Sie vergessen. Der hat mit der Sache nichts zu tun. Oborins Doktor- und Übervater. Ein Arsch, aber harmlos.«
    »Und die Sache mit meinen beiden Mitarbeitern? Um auch diese Nebensächlichkeit noch geklärt zu haben.«
    »Nun, ich war ziemlich überrascht, als die beiden mich aus dem Bett holten. Damit hatte ich nicht gerechnet. Zumindest nicht so schnell.«
    »Dafür, daß Sie überrascht gewesen sind«, stellte Lukastik fest, »haben Sie fix reagiert.«
    »Danke für die Blumen«, lächelte Sternbach, relativierte aber

Weitere Kostenlose Bücher