Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
ich überzeugt, die Polizei würde ein so kleines Ding nicht entdecken. Und wenn doch, dann wäre sie kaum in der Lage, damit etwas anzufangen. Leider habe ich mich geirrt.«
»Warum Oborin?« fragte Lukastik, wie jemand, der sich das beste Stück Fleisch für den Schluß aufhebt. Im konkreten Fall war das beste Stück Fleisch die Frage nach dem Hai.
»Ich kannte Oborin vom Tauchen«, sagte Sternbach, »vom Flaschentauchen im Hallenbad. Wir freundeten uns an. Und als ich dann Jahre später diesen Rekord bei Genua getaucht bin, gehörte Oborin zu meinen Sicherungstauchern. Er war der, der am tiefsten gehen mußte, der Mann an der Rekordmarke. Ich habe mir oft gedacht, wie schlimm es sein muß, die ganze Zeit dort unten zu bleiben, in der Dunkelheit, mit den ganzen Flaschen am Rücken, wie in einem riesigen Sarg hokkend. Aber Oborin fand absolut nichts Gruseliges daran. Ich habe nie ein kälteres Gemüt kennengelernt. In bezug auf das Tauchen. Sicher nicht in bezug auf die Graphologie. Und erst recht nicht, wenn ich an seine körperliche Eitelkeit denke. In diesen Dingen war er ein fürchterlicher Hitzkopf. Schwer geschädigt.«
»Das klingt dennoch alles so, als wären Sie ihm zu Dank verpflichtet gewesen.«
»Man konnte sich auf ihn verlassen, in punkto Tauchen. Das steht außer Frage. Aber dann hat er mich mit Lisa bekannt gemacht, Lisa Tomschi, seiner Ex-Frau. Die beiden waren damals bereits geschieden, Lisa lebte aber noch in Zwettl. Ich will Ihnen jetzt nicht erklären, was für eine Frau sie war. Erstens, weil sie etwas Unbeschreibliches besaß, und zweitens, und das ist ziemlich bitter, weil ich mich gewaltig in ihr geirrt habe. Wodurch sich das Unbeschreibliche auch noch verkehrt hat.«
»Das hört sich wiederum an«, meinte Lukastik, »als hätte gar nicht so sehr Tobias Oborin auf Ihrer persönlichen Todesliste stehen sollen, sondern vielmehr dessen Geschiedene.«
»Sie sollten Ihre Worte besser wählen, Chefinspektor«, warnte Sternbach, »wenn Sie wollen, daß ich weiterrede. Todesliste ist ein garstiger Begriff, der in dieser Geschichte nichts verloren hat.«
»Gut. Vergessen wir die Todesliste. Was haben Ihnen Oborin und seine Ex-Frau angetan?«
»Es gibt da ein Buch«, sagte Sternbach, »das Oborin veröffentlicht hat, ein dummes, geschwätziges und unmäßiges Buch. Handschrift und Lüge . Wohl in Anlehnung an Klages’ Handschrift und Charakter und Loos’ Ornament und Verbrechen .«
»Ich kenne das Buch«, sagte Lukastik, »besser gesagt, ich kenne die Seiten, die sich auf Hölderlin beziehen.«
»Ach! Das ging ja schnell. Gratulation!«
»Allerdings ist mir unklar«, gestand Lukastik, »wie ich diesen Artikel zu interpretieren habe.«
»Sie können sich doch sicher denken«, sagte Sternbach, »wer mit ›Herr S.‹ gemeint ist.«
»Ich nehme an, das sollen Sie sein.«
»So ist es«, bestätigte Sternbach. »Diese eine Zeile, dieses ›Wem sonst als Dir‹ stammt aus einem Brief, den ich an Lisa geschickt habe, kurz nachdem ich aus dem Koma erwacht war. Ich will zugeben, daß dieser Brief eine peinliche Sache ist, weit mehr Pathos besitzt, als auszuhalten ist. Ich versuche darin, meine Leidenschaft für Lisa mit meinem Tauchrekord in Verbindung zu bringen. Sie wissen schon, wie jemand, der einen verwandelten Penalty seinem Staatschef widmet oder eine neu entdeckte Insektenart nach der eigenen Tochter benennt. Eine solche Geschmacklosigkeit eben. Allerdings habe ich Lisa in diesem Brief nicht beim Namen genannt, sondern nur erklärt, der Frau meines Lebens diesen Rekord zu vermachen. Und dann habe ich halt hinzugefügt: Wem sonst als Dir. – Ich schwöre Ihnen, Chefinspektor, ich hatte nicht die geringste Ahnung, daß Friedrich Hölderlin vor Ewigkeiten exakt denselben Satz auf die Innenseite irgendeines Buches gesetzt hatte. Ich wußte es nicht, habe mich auch nie mit Hölderlin beschäftigt. So etwas passiert eben, daß jemand nach zweihundert Jahren die gleiche Idee noch einmal hat. Übrigens habe ich ein Komma gesetzt und Hölderlin nicht. Das nur nebenbei.«
»Unwissenheit schützte nicht vor Recht«, dozierte Lukastik. »Ich meine betreffend des Copyrights. Komma hin oder her.«
»Das mag schon sein. Aber schließlich war dieser Brief ja auch nicht zur Veröffentlichung gedacht. Ich habe ihn an Lisa geschickt, in der irrigen Annahme, sie wäre in den Wochen während meines Komas Tag für Tag an meinem Bett gesessen. Dabei hätte mir natürlich auffallen müssen, daß jetzt, wo
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