Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
wie eine Tablette Ipso Facto es hervorrief. Wobei sie es unterließ, zu erklären, woher dieser Whisky stamme. Und das paßte auch. Lukastik war nicht hier, um etwas zu lernen. Sondern um sich die Zeit mit ein wenig Alkohol zu vertreiben, bis Sternbach auftauchte oder zumindest ein Lebenszeichen von sich gab.
Es wurde dann ein Lebenszeichen. Allerdings sollte es noch zwei Stunden dauern, bis es dazu kam. In der Zwischenzeit blätterte Lukastik in seinem Tractatus . Eigentlich »spazierte« er darin, wie man durch einen Park marschiert, den man in- und auswendig kennt, aber selbstverständlich immer wieder auf neue Details stößt. Und seien es nur abgebrochene Zweige. Was Lukastik während dieses Spaziergangs allerdings vermißte, das waren die sphärischen Klänge des Josef Matthias Hauer.
Statt dessen lauer Jazz.
Nach besagten zwei Stunden stand mit einem Mal der Barkeeper vor Lukastik und stellte einen Teller ab, auf dem ein gefaltetes Papier auflag. Dazu kommentierte er: »Die Rechnung, mein Herr.«
»Ich habe um keine Rechnung gebeten«, erklärte Lukastik.
Doch der Barkeeper ging bereits wieder zu seiner Theke, die von einer Gruppe von Herren als auch einer Gruppe von Damen umlagert war, jede Gruppe streng für sich, wie bei einem Blumenbeet.
Lukastik nahm den Zettel und entfaltete ihn. Von einer Rechnung konnte keine Rede sein. Vielmehr blickte er nun auf eine handschriftliche Mitteilung und erkannte, wozu er noch kurz zuvor nicht in der Lage gewesen war, daß es sich nämlich bei Sternbachs Handschrift um die gleiche handelte, mit der ein gewisser Herr S. sich Hölderlins Widmung einverleibt hatte. Auf dem Zettel stand zu lesen:
Verehrter Chefinspektor, kommen Sie um Punkt
halb zwölf ins Badehaus.
Ich werde am Pool auf Sie warten. Es wäre
schön, würden Sie alleine erscheinen. Wir
könnten dann in aller Ruhe miteinander reden.
Sternbach
Lukastik sah auf die Uhr. Er hatte noch eine ganze Stunde Zeit. Eine Stunde, in der er in Erfahrung bringen konnte, wo dieses Badehaus überhaupt lag, eine Stunde, in der es ihm möglich sein würde, den unsympathischen Barkeeper einem raschen Verhör zu unterziehen. Sowie Major Albrich zu benachrichtigen, auf daß dieser einen Ring um besagtes Badehaus ziehen konnte.
Allerdings verzichtete er auf letzteres und vorletzteres und begnügte sich damit, die Serviererin nach dem Badehaus zu fragen. So erfuhr er, daß es sich dabei um jenen mit einer Grasmatte überzogenen Kegel am Ende des Geländes handelte. Darin befänden sich diverse Saunen, Dampfbäder und Aromaräume sowie ein Hallenbad. Freilich sei das Badehaus zu dieser fortgeschrittenen Stunde geschlossen.
Lukastik dankte, erhob sich und ging. Dabei warf er dem Barkeeper einen Blick zu, der besagen sollte, daß man sich schon noch einmal treffen würde. Und zwar auf einem ganz anderen Terrain. Einem Terrain, wo eine stocksteife Haltung und Virtuosität im Umgang mit Gläsern und Flaschen wenig nützen würde.
Draußen im Foyer sah Lukastik für einen Moment Major Albrich, als dieser soeben aus dem Restaurant kam und in einem der Flure verschwand. Eine Szene wie aus einem Hitchcock-Film, wenn der Meister höchstpersönlich auf der Leinwand erscheint, nicht anders als ein Gott, der einen kurzen Ausflug in die Welt seiner Geschöpfe unternimmt. Nun, der Major war sicher kein Gott, nicht einmal ein Regisseur, aber eines tat er auf jeden Fall: Er wirkte fremd und deplaziert inmitten des eigentlichen Geschehens, weit weg von seinem Büro, noch weiter weg von seiner Opernloge. Er wirkte alles andere als inkognito.
Lukastik ließ sich durch das Auftreten seines Vorgesetzten nicht aus der Ruhe bringen, nahm in einem der Lederstühle Platz und zündete sich eine Zigarette an. Eine halbe Stunde saß er so da, beobachtet von den eigenen Leuten, dann stand er auf und ging ohne Eile auf die Toilette. Und damit in einen Raum, den er bereits kannte und folglich die dortigen Gegebenheiten. Er öffnete ein Fenster und kletterte ins Freie.
16 Wenn Thomas H. Macho in der von Peter Sloterdijk herausgegebenen Reihe Philosophie jetzt! (was so klingt wie Zu den Waffen, Brüder! oder Tötet alle Ungläubigen! ), wenn Herr Macho also schreibt, daß trotz der immensen Berge von Sekundärliteratur zum Werk Wittgensteins man andererseits kaum jemand als Wittgensteinianer bezeichnen kann, dann hat er sicherlich recht.
Richard Lukastik aber war ein solch seltenes Exemplar. Natürlich nicht in dem Sinn, daß er selbst
Weitere Kostenlose Bücher