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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Philosophie in der Tradition Wittgensteins betrieb. Das wäre ihm – selbst wenn er intellektuell dazu in der Lage gewesen wäre – abscheulich und unsinnig erschienen. Um so mehr, da er ja die ganze Philosophie seit Wittgenstein für beendet hielt und die Auffassung vertrat, daß auch wissenschaftliche Disziplinen das Recht hätten, wenn schon nicht sterben, dann wenigstens versanden zu dürfen. Nein, Lukastik war in etwa vergleichbar mit einem Fußballfan, der bedingungslos zu einem bestimmten Verein hielt, jedoch soviel guten Geschmack besaß, die eigenen dicken Beine niemals in kurze Sporthosen zu zwängen, um dann in solcher Montur ein Spielfeld zu betreten.
    Daß Lukastik nun weder Philosoph noch Musikwissenschaftler, sondern Polizist geworden war, hätte Wittgenstein sicherlich gefallen, da die Welt mehr gute Polizisten nötig hatte als gute Philosophen. Blieb nur die Frage: War Lukastik ein guter Polizist?
    Jedenfalls war er ein gläubiger Wittgensteinianer, auch wenn er den Begriff des »Glaubens« ablehnte. Aber es war schon religiös zu nennen, wie er da auf einem der kreideweißen Kieswege dahinschritt und einige Sätze aus dem Tractatus in der Art eines Vaterunser murmelte, vor allem natürlich jenes » Das Rätsel gibt es nicht«.
    Über ihm leuchtete ein beinahe vollständig aufgeblühter Mond und tauchte das Grundstück in ein Licht wie von Tünche. Vergleichbar einer Guckkastenbühne, in der dank kleiner Lämpchen das Bild einer schattenreichen, einer idyllisch-unheimlichen Szenerie entsteht. Gebäude, Hecken, Wege, Bäume – alles wie ausgehöhlt.
    Lukastik mußte an eine Überlegung Wittgensteins denken, in welcher der Philosoph die Unklarheit eines Satzes wie »Ich weiß, daß ich ein Gehirn habe« behandelt. Eine Unklarheit, die sich daraus ergab, daß nämlich trotz aller Wahrscheinlichkeit, mit der diese Behauptung eine Bestätigung finden würde, es dennoch vorstellbar war, »daß bei einer Operation mein Schädel sich als leer erweise«.
    Dies war ein Gedanke, der sich Lukastik immer wieder bildhaft aufdrängte, daß nämlich ein an ihm vorgenommenes Schädelröntgen zu der erstaunlichen Einsicht führen würde, daß sein Schädel zwar nicht völlig leer war, sich darin aber etwas befand, das in keiner Weise an ein reguläres Gehirn erinnerte. Er konnte sich eine Menge Dinge vorstellen, die statt dessen im Innenraum seiner Schädelkapsel existierten, angefangen vom obligaten Kaninchen über eine Art Gefrierschrank, in dem ein jedes gesprochenes und noch zu sprechendes Wort lagerte, bis hin zu sandkorngroßen Körpern, die durch den Raum schwebten, sich auf der Suche nach freien Bahnen befanden und mit schöner Regelmäßigkeit kollidierten.
    Aus diesen Phantasien wurde Lukastik durch das Läuten seines Handy herausgerissen. Zum Abstellen war es jetzt wirklich zu spät.
    »Was soll das bloß wieder?« tönte die Stimme Major Albrichs, so verärgert wie unsicher. »Wo sind Sie?«
    »Ich weiß, es war nicht fair«, gestand Lukastik. »Ich bin aus dem Fenster gestiegen.«
    »Machen Sie sich über mich lustig?«
    »Keineswegs«, sagte Lukastik. »Ein plötzlicher Impuls.«
    »Was für ein Impuls? Sind Sie jetzt endgültig verrückt geworden?«
    »Der Impuls zur Flucht. Sie erinnern sich, wir hatten uns heute schon einmal darüber unterhalten. Außerdem dachte ich, wie wären uns einig gewesen, daß sich die Mannschaft zurückhält.«
    »Die Mannschaft hält sich durchaus zurück«, erregte sich der Major. »Niemand läuft mit Kampfstiefeln durchs Hotel. Oder? Kein Grund also, Ihre Kollegen abzuhängen.«
    »Schon gut. Ich befinde mich auf dem Weg zum Badehaus. Dieser grüne Kegel am Ende des Geländes.«
    »Treffen Sie Sternbach dort?«
    »Ja. Er hat mir eine Nachricht hinterlassen. Um halb zwölf am Pool.«
    »Am Pool?«
    »Ich glaube kaum, daß sich ein Hai darin befinden wird. Es bleibt dabei. Ich will niemand von unseren Leuten im Gebäude sehen.«
    »Wenn es denn sein muß«, meinte der Major hörbar leidend, »wir warten, bis Sie drinnen sind. Dann aber lasse ich das Objekt umstellen und gebe Ihnen eine halbe Stunde.«
    »Was ist«, fragte Lukastik, »wenn Herr Sternbach mehr als eine halbe Stunde benötigt, seine Geschichte zu erzählen? Der Mann ist möglicherweise labil. Er hat dies alles inszeniert, um mir sein Herz auszuschütten. Er könnte es mißverstehen, wenn ich ihn dränge, sich kurz zu halten.«
    »Also gut. Aber nach dieser halben Stunde werde ich Sie anrufen.«
    »Nein«,

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