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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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scheine und es somit bedeutungslos bleibe, ob er tatsächlich oder bloß als Projektion bestehe.
    Bezeichnenderweise stammte von derselben Gruppe eine Webseite, die sich ausführlich und mit nicht geringem wissenschaftlichem Material der Präsentation eines dreiundzwanzigsten Trabanten des Saturn widmete. Nur, daß ein solcher Mond noch gar nicht entdeckt worden war. Dennoch behauptete man seine Existenz und entwarf ein äußerst genaues Bild. Von Wien aus. Das schien zu genügen.
    Albrich hatte wenig Lust, sich über Monde und Wirklichkeiten zu unterhalten, weshalb er in einem ungewöhnlich scharfen Ton verlangte, jenen Menschen, der die Kameraaufstellung zu verantworten habe, schnellstens zu ermitteln und der Polizei zuzuführen. Ohne Rücksicht auf ein möglicherweise hohes Alter oder gar die Reputation der Volkshochschule.
    Es war kurz vor elf Uhr nacht, als Jordan und Boehm den Fundort von Oborins Leiche betraten. Zu ihren Füßen ein Pool ohne Schwimmer, die Fläche glatt von unbewegter Luft, welche die Wirkung eines Bügeleisens besaß. Über ihnen ein Nachthimmel, in dem ja auch der Saturn feststeckte, angeblich zweiundzwanzigmondig. Es stellte sich die Frage, ob ein Mond, bevor man ihn entdeckt hatte, überhaupt existierte (zumindest wenn man der Theorie anhing, daß die Dinge nur dann bestanden, wenn sie auch beobachtet wurden).
    Die Stadt Wien jedenfalls war kein dreiundzwanzigster Mond. Jordan und Boehm sahen hinunter auf den nächtlichen Ort, der wie in ein Geflecht entzündeter Herde eingesponnen war. Die Suche war ergebnislos geblieben. Kein Lukastik, kein See, nichts Mysteriöses. Der Großteil der Polizeitruppe war bereits abgezogen, Sternbachs Wohnung fürs erste plombiert worden. Nur noch ein paar Leute waren damit beschäftigt, die Tiefgeschosse abzusuchen. Im Grunde ging man davon aus, daß die Existenz eines unterirdischen Sees tatsächlich auf einer Täuschung beruhte. Wie auch die Annahme, Tobias Oborin sei durch den Angriff eines Haifisches zu Tode gekommen. Fast alle Beteiligten hatten das Dubiose dieser ganzen Geschichte endgültig satt, allen voran Albrich.
    Auch wurde gemutmaßt, daß Lukastik sich schon lange nicht mehr in diesem Wohnhausturm befand, sondern – ohne große Worte gemacht zu haben – sich irgendwohin zurückgezogen hatte. Vielleicht, um eine Depression loszuwerden. Für viele war er der typische Depressions-Typ. Arrogant und eventuell intelligent.
    »Sie sollten jetzt nach Hause fahren«, schlug Jordan vor.
    »Und was ist mit Ihnen?« fragte Edda Boehm, die tatsächlich froh war, endlich von hier wegzukommen. Sie konnte Hochhäuser nicht leiden. Sie fühlte sich dann immer wie auf Stelzen.
    Jordan erklärte, noch eine Weile bleiben und nachdenken zu wollen. Zudem genieße er den Ausblick.
    »Wie Sie meinen«, sagte Boehm und wünschte eine gute Nacht. Der beleuchtete Pool schien nun – wie man das eigentlich nur von Menschen behauptet – in sich selbst zu ruhen, vergleichbar einem Stück Eis, das in der eigenen Schmelze treibt.
    Jordan ging um das Schwimmbad herum, mal das Wasser, dann wieder die Stadt betrachtend, und fragte sich fortgesetzt, warum ihn die Vorstellung, Lukastik befinde sich in Gefahr, derart beunruhigte. Ja, wie sehr ihm die Möglichkeit zu schaffen machte, sein ungeliebter Vorgesetzter könnte diese Gefahr nicht überleben oder sei bereits tot.
    Als fürchte man, dachte Jordan, mit seinem Feind das einzig wirkliche Gegenüber zu verlieren.
    Dieser Gedanke hatte bei aller selbstmitleidigen Dramatik durchaus etwas für sich. Lukastik war gewissermaßen Jordans ungleicher Zwilling, wie der verwaschene Abdruck der eigenen Schrift auf einem Löschblatt. Und so sehr Jordan diesen Löschblatt-Abdruck verachtete, mochte er ihn natürlich nicht missen. So häßlich kann ein Mensch gar nicht sein, daß er ernsthaft in Betracht ziehen würde, auf sein Spiegelbild zu verzichten.
    Es war Jordan also alles andere als einerlei, was aus seinem Chef geworden war. Auch bedrängte ihn das beklemmende Gefühl, so rasch wie möglich etwas unternehmen zu müssen, um Lukastik wovor auch immer zu retten, obgleich er nicht hätte sagen können, was zu tun war. Es bedeutete somit eher einen Ausdruck von Hilflosigkeit, daß Jordan – den die Gebäudeverwaltung mit mehreren Generalschlüsseln ausgestattet hatte – nun damit begann, eine Arbeit zu wiederholen, die zuvor bereits von einer ganzen Truppe von Polizisten bewerkstelligt worden war, nämlich Etage für Etage zu

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