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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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diesem Ort eine Seite aus genau diesem Buch in der Ritze genau dieses Türstocks befestigt hatte, war gleich Null. Woraus sich die Vermutung ergab – eigentlich war es eine Gewißheit –, daß Lukastik durch eben diese Tür gegangen sein mußte.
    Jordan konnte läuten oder einfach gleich die Tür eintreten. Er konnte natürlich auch die Kollegen benachrichtigen. Was er jetzt tat, indem er Albrich anrief und ihm mit gedämpfter Stimme erklärte, wo er sich gerade befand und worauf er gestoßen war. Und daß er sich augenblicklich Zugang zu dieser Wohnung verschaffen werde.
    »Warten Sie«, ordnete Albrich an, »bis wir da sind.«
    »Unmöglich«, sagte Jordan mit dem Ton des Fiebernden und legte auf. Dann entschied er sich, an die Tür zu klopfen, obgleich auch eine Klingel vorhanden war. Doch meinte er, solcherart keinen Zweifel darüber zu lassen, daß es nichts nützen würde, wenn irgend jemand versuchte, sich taub zu stellen. Gleichzeitig holte er seinen Ausweis aus der Tasche und griff mit der freien, rechten Hand unter sein Jackett, wo er den Griff der bereits entsicherten Pistole umklammerte. Im Unterschied zu Lukastik hielt er die Verwendung einer Waffe unter Umständen für die bessere Lösung. Manches wurde einfacher, wenn man den Leuten in die Beine schoß. Und Jordan hatte noch nie auf etwas anderes als auf ein Bein gezielt. Selbst im Rahmen von Schießübungen weigerte er sich beharrlich, einen anderen Körperteil anzuvisieren. Das war sein Prinzip, über das zu diskutieren er nicht gewillt war.
    Er klopfte also. Und ohne daß nun etwa das Näherkommen von Schritten hörbar geworden wäre, glitt kurz darauf – nicht minder lautlos – die Tür zur Seite, und vor dem Hintergrund eines surreal-biedermeierlichen Vorraums erblickte Jordan die kompakte, kubusartige Gestalt eines mittelgroßen Mannes, der einen weißen, seidenen Hausmantel trug, auf dessen einer Seite japanische Schriftzeichen eine senkrechte Reihe bildeten. Der Mann selbst war aber eindeutig kein Asiate. Ihn schmückte ein präzise geschnittener Schnurrbart, silbrig wie das kurze, stoppelige Haar. Seine Ohren waren leicht gerötet. Nicht jedoch die kräftigen Backen, die gleich Podesten die kleinen, in einem gutmütigen Blick geradezu kasernierten Augen stützten. Die ganze Person war von derartiger Akkuratesse, daß Jordan sich einen Moment geblendet fühlte. Obwohl er doch selbst einen überaus straffen Eindruck vermittelte, war die Straffheit seines Gegenübers überwältigend. Unter dem Saum des Hausmantels wurden die wechselnden Streifen von hellem Gelb und hellem Ocker sichtbar, die das Muster einer Pyjamahose bestimmten. Die Füße steckten in ledernen Sandalen von derselben Färbung und Streifung. Auch wenn der Mann in manchem Detail tuntenhaft anmutete, widersprach seine gesamte Erscheinung einer solchen Prognose. Er schien nun mal eine Person zu sein, die auf ausgewählte Kleidung auch dann Wert legte, wenn es der Nachtruhe entgegenging. Übrigens hielt er eine Zigarette im angewinkelten rechten Arm. Selbst die aufsteigende Rauchschwade wies in ihrer mehrfachen Schwingung eine gleichmäßige Form auf, was mit der ruhigen Haltung des Arms zusammenhing, bei gleichzeitigem Luftzug, der durch die Tür drang. Der Mann hob seine Mundwinkel leicht an, so daß zwar kein Lächeln entstand, aber das Gesicht als Ganzes eine Auflockerung erfuhr. Er fragte: »Womit kann ich Ihnen dienen?«
    Jordan unterließ es, seinen Mundwinkeln ebenfalls eine Bewegung abzuringen und hielt statt dessen seinen Ausweis in die Höhe. Dann tat er zur Sicherheit einen unmerkbaren Schritt nach vorn, um einen Fuß in der Tür zu haben, nannte seinen Namen und fragte, ob er eintreten dürfe.
    »Selbstverständlich«, erklärte der Träger des Seidenmantels und bewegte sich mit einer Vierteldrehung zur Seite. Sodann sagte er: »Sie erlauben?«, und schloß die Eingangstür, wobei er die Klinke anfaßte, als berühre er die Hand einer Tanzpartnerin.
    Für einen kurzen, ruhigen Augenblick standen die beiden Männer in diesem Vorzimmer wie in einer Filmkulisse, so, als seien sie Teil dieser Kulisse, unbeweglich, Wachsfiguren: Polizist und Gentleman. Aus diesem Moment der Starre löste sich der Gentleman mit einer flüssigen Bewegung – ohne seine robuste, schrankartige Präsenz aufzugeben – und öffnete die Tür zum Wohnzimmer, welches als der größere Bruder des Vorraums fungierte. Auch hier das Violett und Gold der Tapete, auch hier eine ganze Reihe von

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