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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Wandleuchten. Auf dem Boden lag ein ausladender, wohl antiker Teppich, den man durch einen Glastisch wie durch eine riesenhafte Lupe betrachten konnte. Auf einem Sofa, das mit seinem hellen Überzug und der dunklen, filigranen Schnitzerei den Eindruck einer offenen Kutsche entstehen ließ, saß eine Frau, die das exakte Pendant zu ihrem Mann darstellte. Nicht nur, weil sie einen ebensolchen Hausmantel und ebensolche Sandalen trug, sondern wegen derselben gefaßten Korpulenz. Sie blickte auf einen Fernseher, ein hochmodernes, flunderartig flaches Gerät, welches auf einem barocken Sockel stand. Die Frau drehte ihren Kopf in Jordans Richtung und betrachtete ihn mit den gleichen gütigen Augen, die auch ihrem Mann wie unveränderliche Knöpfe in den Augenhöhlen saßen. Sie neigte ein wenig ihren Kopf und wünschte einen schönen Abend.
    »Meine Frau«, stellte der Hausherr vor und wollte nun wissen, inwieweit er der Polizei behilflich sein könne.
    »Ihr Name?« fragte Jordan, während er den Raum nach einem Anzeichen Lukastiks absuchte.
    »Barwick. Hans Barwick«, sagte der Mann.
    Dazu passend fiel Jordans Blick auf eine Urkunde, die zwischen dem Fernseher und einem monolithischen Kaktus hing. In gedruckter Schönschrift wurden darin Herr und Frau Barwick in Anbetracht ihrer Verdienste um das Bestattungsgewerbe von der Wiener Kaufmannschaft geehrt.
    »Ich kann mich erinnern«, sagte Jordan, »Ihren Namen mehrmals gelesen zu haben: Bestattungshaus Barwick. Nicht wahr?«
    »Nun, wir sehen uns als Begleiter der Toten wie der Trauernden«, erklärte Herr Barwick, dessen sanfter Blick nun ebenso seine Berechtigung erhielt wie auch das zartfeste Timbre seiner Stimme. Man konnte sich gut vorstellen, daß dieser Mann bei allem tief empfundenen Mitgefühl, bei allem Verständnis für den Schmerz der Angehörigen das bildete, was allgemein als »starke Schulter« bezeichnet wird. Auch wenn wahrscheinlich noch nie ein Kunde gewagte hatte, sich tatsächlich an dieser Schulter auszuweinen. Barwicks Schulter wirkte symbolisch. Dieser Mann war durch nichts, auch keinen noch so schrecklichen Tod, in seiner vornehmen Straffheit zu gefährden. So war er auch in der Lage, trotz einer beinahe freundschaftlichen Beziehung zu allen Beteiligten (vielleicht sogar zum Wesen des Todes an sich) jene Kontenance zu wahren, die nötig war, um nicht nur alle Formalitäten zu erledigen, sondern vor allem die Frage nach den angemessenen ästhetischen Lösungen zu beantworten. Denn genau darum gehe es in erster Linie, erklärte Herr Barwick nun im Ton kontrollierter Leidenschaft.
    »Worum?« fragte Jordan.
    »Die wenigsten Hinterbliebenen wissen«, erläuterte Barwick, »in welcher Weise sie ihre Toten eigentlich bestattet sehen möchten. Natürlich gibt es prinzipielle Vorgaben, die sich zumeist aus einer bestimmten religiösen Gebundenheit ergeben. Aber das ist es dann auch schon. Nicht wenige Menschen sind allein durch die Frage nach dem richtigen Stein – ich meine bloß einmal die Steinart des Grabsteins – völlig überfordert. Sie verhalten sich, als müßten sie jemand beschenken, der schon alles hat.«
    »Du übertreibst«, kam es vom Sofa her.
    »Ich übertreibe nicht«, sagte Herr Barwick und drückte seine Zigarette in einer Manier aus, als falte er feines Briefpapier. Dann präzisierte er: »Die Hinterbliebenen sind weniger hilflos in Unkenntnis des lieben Verstorbenen als des eigenen Geschmacks. Ich meine einen Geschmack, der sich auf den Tod und das Ritual des Abschieds bezieht. Etwa die Frage nach der Poesie. Sie wissen schon, ein kleiner Spruch, ein kleiner Aphorismus, der die Nachricht vom Tode begleitet. Als wäre die Frage nach der Schrifttype nicht schon schwierig genug, muß man sich auch noch für einen bestimmten Text entscheiden. Und selbst wenn klar ist, daß es sich um eine Stelle aus der Bibel handeln soll, ist damit wenig gewonnen. Angesichts der ungeheuren Fülle verzweifeln die Kunden. Sie wissen selten, was sie wollen. Und genau darin besteht meine Aufgabe. Es ihnen zu sagen. Ich erkläre diesen Leuten, welches Zitat ihnen entspricht, ihrem Charakter und ihrer Erscheinung. Welcher Grabstein paßt, ob überhaupt ein Grabstein, welche Kränze, welche Blumen, welche Musik. Ja, ich gehe soweit, mir hin und wieder einen Ratschlag zu erlauben, der sich auf die Art des Trauerns bezieht. Welches Trauern welcher Person gerecht wird, ihr gut zu Gesicht steht. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich rede niemandem etwas ein. Aber

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