Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
ich studiere meine Kunden, nicht anders als ein Architekt, der für einen bestimmten Menschen ein bestimmtes Haus baut. Das Haus kleidet seinen Benutzer. Und die Bestattung kleidet die Hinterbliebenen.«
»Das klingt, als hätte der Tote gar nichts von der Sache.«
»Unter uns gesagt«, erklärte Barwick, »in den meisten Fällen ist das auch so. Wer tot ist, ist nicht nur zum Schweigen verurteilt, sondern hat auch selten etwas mitzureden. Außer natürlich, er war so weise, sich testamentarisch abzusichern. Man darf ja nicht vergessen, daß es sich bei einigen unserer Kunden um die Toten selbst handelt. Was also bedeutet, daß wir noch zu Lebzeiten des Verstorbenen von diesem beauftragt werden, post mortem in seinem Sinne zu verfahren. Leider hat das mitunter zur Folge, daß wir gezwungen sind, die Anmaßungen nächster Verwandter abzuwehren. Freundlich, versteht sich, aber ebenso bestimmt und konsequent. Es mag ein wenig morbid oder gar zynisch klingen, aber es steckt eine tiefe Moral und kaufmännische Gesinnung darin, wenn ich sage, daß bei uns auch ein toter Kunde König ist. Wir halten uns an Vereinbarungen, da kann kommen, wer will.«
»Das werden wir ja sehen«, meinte Jordan und ging nun in die Offensive, indem er fragte, welche Vereinbarung das Bestattungshaus Barwick denn eigentlich mit einem Mann namens Sternbach getroffen habe.
Hans Barwick ließ nicht die minimalste Erschütterung erkennen, kein Fünkchen seiner glatten, geraden Haltung geriet in Unordnung. Und das, obwohl er nach einer Packung Zigaretten griff, was aber in keiner Weise einen nervösen Eindruck machte, sondern ein Höchstmaß an Gelassenheit ausdrückte. In der ruhigen, kunstvollen Bewegung seiner Hände gewann das simple Päckchen den Rang eines eleganten Etuis, was wieder einmal die Binsenweisheit unterstrich, daß nicht wirklich das Stoffliche die Vornehmheit bestimmt, sondern die Geste, mit der jemand das Stoffliche präsentiert. Es gab Leute, die konnten sich beim Essen das Gebiß aus dem Mund nehmen und es wirkte so, als würden sie bloß den sauber entfleischten Kern einer Olive von ihren Lippen lösen. Umgekehrt sah man tagtäglich im deutschen Fernsehen, aber noch viel mehr im österreichischen, wie Menschen in teurer, zumindest ausgewählter Kleidung gerade dadurch Mitleid erregten, daß sie dem Publikum völlig verwahrlost erschienen.
Hans Barwick hingegen war in diesem Moment ganz Herr seiner selbst und erregte alles andere als Mitleid. Auch verzichtete er darauf, sich dumm zu stellen. Unterließ also die Behauptung, noch nie von einem Mann mit Namen Egon Sternbach gehört zu haben, sondern erklärte, daß er gerne über das Prinzipielle seiner Arbeit plaudere, aber mit Sicherheit nicht über konkrete Fälle.
»Ach was«, meinte Jordan und kratzte sich an der Wange.
»Was wollen Sie tun«, fragte Barwick mit einem feinen Lächeln, »mir ins Gesicht schlagen?«
»Ist das Ihre Vorstellung von der Polizei?« erkundigte sich Jordan, wartete aber eine Antwort nicht ab, sondern ließ seine Faust genau auf Barwicks Nasenbein krachen.
Es war kein Schlag gewesen, der sich geeignet hätte, jemand umzubringen. Nicht einmal besagtes Nasenbein brach. Das einzige, was zu Bruch ging, war die Selbstsicherheit des Bestatters, welcher offenkundig gemeint hatte, prügelnde Polizisten seien eine Erfindung des Kinos. Wobei Jordan mitnichten einen Schlägertyp verkörperte. Aber so, wie sich eben hin und wieder ein Dilemma dadurch bereinigen ließ, daß man jemand ins Bein schoß, kam es vor, daß einzig und allein ein Schlag ins Gesicht imstande war, einen Stau aufzulösen.
»Ich habe keine Zeit mehr«, sagte Jordan. Und: »Was haben Sie mit Lukastik gemacht?«
»Lukastik?« fragte Barwick, halb gegen den Fernseher gestützt, halb gegen die Wand, wohin die Wucht des Hiebs ihn geschleudert hatte. Ein wenig Blut rann aus seiner Nase und sickerte in seinen silbrigen Schnurrbart. Mit dem gepreßten Ton des in jeder Hinsicht Verletzten bekundete er sein Erstaunen: »Ich dachte, es geht um Herrn Sternbach.«
»Sternbach ist tot«, erklärte Jordan.
Barwick nickte, sagte aber, das könne man so sicher nicht sagen. Auf Haie sei bekanntermaßen wenig Verlaß. Es stehe in den Sternen, wann sie zubeißen würden und wann nicht. Freilich wäre da noch die Sache mit dem Sauerstoff …
Barwick sah auf seine Armbanduhr und wog den Kopf zweifelnd hin und her. (Für die, die es interessiert, er trug eine LeCoultre-Futurematic, die etwa 1954
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