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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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und begann sich für die gerahmten Fotographien an den Wänden zu interessieren. Erst jetzt realisierte er, daß es sich dabei nicht um verschleierte Burgen und im Dunst verlorene Alleen handelte, sondern passenderweise um Aufnahmen von Haifischen, auch wenn er eine Weile brauchte, bis er die Gestalt einzelner Tiere aus der diffusen Umgebung herausgefiltert hatte. Zumeist konnte er bloß die charakteristische Form einer Rückenflosse oder den scharfen Bug einer Schnauze erkennen. Mitunter war eigentlich nicht mehr zu sehen als die Kontur eines Riffs, so daß der Hai nur noch in der Erwartung des Betrachters existierte.
    Haie im Stil der Fotographie des späten neunzehnten Jahrhunderts, eingebunden in eine verklärte Romanze zwischen Licht und Schatten. Solcherart entsprachen diese Fische nun tatsächlich jener von Dr. Paul angesprochenen »Melancholie mancher Lebendgebärer«. Darüber hinaus vermittelten die Bilder allerdings einen Horror, der sich dadurch ergab, etwas nicht zu sehen. Denn entgegen der Deutlichkeit, mit der fiktive und dokumentarische Filme »fletschende« Haie zeigen und deren elegante Beweglichkeit im Licht der Kameras oder in einem sonnendurchfluteten Schönwettermeer herausstellen, besteht ja wohl der eigentliche Schrecken, der von einem jeden natürlichen Wasser und erst recht von einem jeden Lebewesen in einem solchen Wasser ausgeht, für den Menschen darin, wenig bis gar nichts zu erkennen.
    Jenes Zwielicht war es, das diese Fotographien zum Thema hatten. Jene unhaltbare Sphäre, in der die Gegenstände der Beobachtung sich kaum von ihrer Umgebung unterschieden und man als Betrachter das Gefühl bekam, selbst im Visier einer Beobachtung zu stehen.
    Lukastik, der natürlich ein ausgeprägtes Gefühl für horrible Momente besaß, erschien diese Fotoserie wahrhaftiger als die übliche ausgeleuchtete Farbenpracht, die den meisten Unterwasserwelten das Flair von Vergnügungsparks verlieh.
    Merkwürdig daran war allerdings, daß selbst bei genauerem Hinsehen der Eindruck erhalten blieb, es handle sich um historische Aufnahmen, was schier unmöglich war. Denn obgleich die Machart und Qualität der Bilder auf eine Zeit verwies, als die Fotographie noch in Konkurrenz zur Malerei gestanden hatte, stellte sich natürlich die Frage, wie eine solch frühe Lichtbildnerei den Weg ins Meer gefunden haben sollte.
    »Aus welcher Zeit stammen diese Aufnahmen?« erkundigte sich Lukastik.
    Ohne seinen Blick zu heben, antwortete Slatin: »Aus dem letzten Jahrhundert.«
    Lukastik drückte sich auf den Fußballen ein wenig in die Höhe und fragte: »Welches letzte Jahrhundert meinen Sie?«
    Die meisten Leute hatten noch immer ein Problem, das zwanzigste als das vergangene Jahrhundert anzusehen. Erst recht Menschen wie Lukastik, die wußten, niemals so viele gute Jahre in diesem neuen Jahrhundert ansammeln zu können, wie sie im gewesenen zurückgelassen hatten.
    »Ich rede davon«, sagte Slatin, »daß diese Bilder etwa 1995 entstanden sind. Was dachten Sie denn? Daß die Pioniere der Fotographie unter Wasser gehen konnten?«
    »Es hätte sich um frühe Studioaufnahmen handeln können«, gab Lukastik zu bedenken.
    »Nein«, sagte Slatin, »die Bilder stammen von einem Freund. Er hat mir nicht erklärt, warum er seinen kleinen Kunstwerken einen altertümlichen Anstrich verliehen hat. Daß diese Bilder hier hängen, bedeutet mehr eine Höflichkeit meinerseits. Damit sie überhaupt irgendwo hängen. Und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich in Ruhe ließen. Sie können ja draußen warten, wenn Sie wollen. Ich meine, wegen der Hitze hier.«
    »Gute Idee«, parierte Lukastik die Unfreundlichkeit Slatins und verließ nicht nur den Raum, sondern auch gleich die Wohnung hinunter in den Hof, wo er unter dem hohen, dunklen, vom Wind bewegten Baum wartete. Nicht anders als ein Hai am Rande eines großen Schwarms kleiner Fische.
    Wie bereits am Morgen, gab er sich auch jetzt der Kühle hin, welche nun allerdings in einem schwülen Korsett steckte. Lukastik entledigte sich seiner Jacke, rieb sich den Nacken und sah hinauf in den Wirbel der Blätter, welcher so dicht war, daß das wenige Licht wie Wasser durch ein Gestein sickerte.
    Lukastik mochte solche Hinterhöfe, die er als typisch für diese Stadt empfand, schachtartig enge Plätze, in denen einzelne Bäume standen, deren Äste an die Fenster heranwuchsen und an sonnigen Tagen lockere Schatten in die Wohnungen warfen. Während natürlich zu bewölkten Zeiten diese

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