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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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man mit einem Schlüssel in das richtige Schloß. Der Mann scheint wirklich einen Gehörfehler gehabt zu haben. Und war eitel genug, keins von den Geräten zu tragen, die wie kleine Geigenkästen hinter den Ohrmuscheln stecken. Aber so scheint ja alles bei ihm gewesen zu sein: perfekt! Die ganze Figur, der ausrasierte Bart, Zähne, manikürte Nägel, eine makellos sitzende Badehose, gestutzte Haare in den Nasenlöchern, dazu rasierte Beine, beziehungsweise ein rasiertes Bein. – Haben Sie schon eine Ahnung, um wen es sich handeln könnte?«
    Lukastik schüttelte den Kopf und erklärte, man sei gerade dabei, zu überprüfen, ob jemand aus dem Haus oder zumindest der Wohnanlage in Frage komme. Bisher allerdings fehle jeglicher Hinweis. Kein Vermißter, zu dem dieses Gesicht passen würde. Auch der Computer sei ratlos.
    »Entweder Computer lügen, oder sie haben keine Ahnung«, betonte Dr. Paul, der ein gestörtes Verhältnis zu Rechnern hatte und sich ihrer – wenn unvermeidbar – mit Todesverachtung bediente. Gleich einem Schiffsbrüchigen, der Salzwasser trinkt. Und ja ganz gut weiß, welche Folgen das hat.
    »Ihre Zähne!« erinnerte Dr. Paul und drückte dem Chefinspektor die schlanke, zigarrenförmige Hülse in die Hand. Dann lachte er und meinte: »Wenn wir den Hai gefunden haben, können wir ihn damit überführen.«
    »Richtig«, stimmte Lukastik zu, der alles andere als ein humorvoller Mensch war. Er schob die Dose in seine Jackentasche, wies Dr. Paul an, das Hörgerät zurück an die Leute von der Spurensicherung zu leiten und ging.
    Wenn zuvor gesagt worden war, daß Dr. Paul einen Gang besaß, der einem geschickten Balancieren gleichkomme, so konnte im Falle Lukastiks der Eindruck entstehen, hier trete jemand von Stein zu Stein. So gerade und eben konnte ein Weg gar nicht sein, daß Lukastiks kräftiger Schritt und seine leicht angewinkelten, schwingenden Arme nicht an eine Person erinnerten, die sich auf einer Bergwanderung befand. Lukastik hielt das Leben für eine durch und durch anstrengende Angelegenheit. Und das merkte man seiner Art zu gehen auch deutlich an.

3       »Ich habe Sie erwartet«, sagte der Mann, der Lukastik die Tür öffnete. Er mochte auf die Sechzig zugehen. Seine ganze Erscheinung widersprach der Vorstellung von einem Haiforscher. Seine Gesichtsfarbe dokumentierte ein frischluftarmes Leben, in welchem Sonne und Meer und herzhafte Brisen mit Sicherheit keine Rolle spielten. Unter dem weißen, durchscheinenden Hemd flatterte ein schmächtiger Körper. Nur um den Bauch herum ging das Flattern in eine stationäre Gewölbtheit über, die den weißen Stoff spannte. Der schmale, längliche Kopf steckte im viel zu großen Hemdkragen wie in einer Krause. Das kurze, graue Haar begrenzte eine glatte Stirn, auf der einige Schweißtropfen wie Tau standen. Ein strenges Augenpaar lag unter buschigen Brauen. Die Nase wies eine deutliche Schramme auf. Die Wangen erinnerten an weiße Vorhänge, die im Dunst einer Raucherwohnung einen gelblichen Stich angenommen hatten. Die Lippen waren gerade, schmal und verbissen. Bartstoppeln markierten das Kinn. Die Ohren lagen so dicht am Kopf, als seien sie zurückfrisiert worden.
    Lukastik wurde in einen großen Raum gebeten, der im Schatten eines Hinterhofs und einer hohen Buche lag, weshalb mehrere Spots eingeschaltet waren. Entgegen Lukastiks Erwartung herrschte Übersicht, Ordnung und Reduktion. Keine bis zum Anschlag offenen Haigebisse, keine fossilen Zähne, keine Amphoren, keine Schaukästen, keine lädierten Tauchanzüge, die das eigene Gerade-noch-überlebt-Haben zur Schau stellten. Statt dessen wurde das Zentrum des Raums von einem weiten Arbeitstisch beherrscht, über den mehrere Graphikblätter verteilt waren, alte Stiche, soweit Lukastik sehen konnte, Stadtansichten, jedenfalls nichts, was mit Fischen zu tun hatte. Zwei Stühle standen weitab des Tisches, die Vorderkanten der Sitzflächen zueinander gerichtet, als dienten sie einem Duell. An den Wänden hingen alte Fotographien, die von hellen, hölzernen Leisten umrahmt und von entspiegeltem Glas abgedeckt waren. Historische Aufnahmen – so schien es zumindest im ersten Moment. Auch hätte Lukastik zunächst gar nicht sagen können, was genau darauf abgebildet war. Der Eindruck des Historischen ergab sich wohl nicht nur aus dem Umstand der bräunlichen Farbgebung, der körnigen Struktur und überhaupt einer neblig-nebulösen Wirkung, sondern auch, da jene alten Drucke sorgfältig

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