Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
ausmachte, über eine sägeblattförmige Zackung verfügte und auf eine dreieckige Gesamtform hinwies.
»Es gibt zwei Haiarten, zu denen dieser Teil paßt«, erklärte Slatin. »Der eine nun ist der Weißhai. Sie wissen, das ist der Fisch aus dem Film, welcher dieses läppische Boot zertrümmert und diese läppischen Seeleute massakriert. Ich fände es ein wenig billig und aufdringlich, wenn ausgerechnet eine derart populäre Art nun auch noch daran schuld sein soll, daß jemand auf dem Dach eines Wiener Hochhauses zu Tode gekommen ist. Ohnehin wird der Weiße Hai für allzu vieles verantwortlich gemacht. Die Leute lieben ihn, aber sie lieben den falschen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
Slatin legte dar, daß es sich bei dem anderen Hai, der in Frage käme, um den sogenannten Gemeinen Grundhai handle, Carcharhinus leucas, einen mehr als ungewöhnlichen Fisch, weit ungewöhnlicher und bemerkenswerter als jener Große Weiße, der gleichsam zur Ikone versteinert sei. Wenn man sich neuere dokumentarische Aufnahmen von Weißhaien ansehe, so entstehe manchmal der Eindruck, die wirklichen Exemplare versuchten, sich jenen Modellen der Jaws-Filme anzupassen. Wie diese zu sein.
»Eine interessante Vorstellung, nicht wahr?« meinte Slatin.
»Was?«
»Daß die Natur die Fiktion imitiert oder karikiert. Daß Löwen zu schielen beginnen, nur um wie dieser Clarence zu sein. Daß unsere Freunde, die Delphine, weniger aus einer evolutionären Bedingung heraus sich liebenswürdig verhalten, sondern vielmehr, um einem Vorbild namens Flipper gerecht zu werden. Daß Hunde sich klug geben, nicht, weil sie es sind, sondern wegen all der Hunde im Kino und Fernsehen, die sich gescheit gebärden. Was halten Sie davon? Wäre es möglich, daß auch ein echter Hase Eier versteckt?«
»Na, das wohl kaum.«
»Sie haben recht«, sagte Slatin, »ich gehe zu weit. Aber in bezug auf Weißhaie bin ich mir da ziemlich sicher. Ich behaupte nicht, daß diese Fische fernsehen können. Und doch müssen sie etwas mitbekommen haben. Die Weißhaie vor Jaws, also vor 1975, waren anders als die danach. Dieser Film hat eine Veränderung des natürlichen Verhaltens mit sich gebracht, so verwunderlich das auch sein mag. Ich rede von einer gewissen theatralischen Gebärde, etwa wenn sich so ein Hai in das Gitter eines Käfigs verbeißt. Doch was die wirklich tödlichen Angriffe angeht, scheint der Weißhai weit hinter eine andere Haiart zurückzufallen. Eine Haiart, die quasi im Schatten des Weißhais steht und Menschen verletzt und getötet hat, ohne dafür namentlich genannt zu werden.«
»Und Sie wollen mir jetzt sicher sagen, daß es sich dabei um diesen Gemeinen Grundhai handelt, dessen Zahnsplitter Sie in der Hand halten.«
»Ja!« rief Slatin aus. »Am Mundwerkzeug liegt es. Weißer Hai und Carcharhinus leucas verfügen über ausgesprochen ähnliche Zähne. Und die Spuren der Zähne sind es nun mal, an denen man sich im Falle einer Attacke, im Falle eines verstümmelten Menschen orientieren kann. Seit jeher – aber natürlich erst recht seit 1975 – ist man im Zweifelsfall lieber davon ausgegangen, es habe sich um einen Weißhai gehandelt. Der Gemeine Grundhai ist auf den ersten Blick weit weniger attraktiv; er ist kleiner, langsamer und, wenn man so will, langweiliger. Dazu fehlt seiner Schnauze jene vorspringende, keilförmige Dominanz. Sie ist eher stumpf und rund. Wie ja der ganze Fisch eine pyknische Erscheinung besitzt. Pykniker werden gerne übersehen, das ist nicht neu. Die Franzosen etwa nennen diese Haiart Requin bouledogue . Was für ein dummer Terminus. Franzosen sind ignorant, aber auch das ist ja nicht neu. Denn bei genauer Betrachtung ist dieser Fisch hochinteressant, außergewöhnlich. Und alles andere als eine lächerliche französische Bulldogge.«
Slatin legte den Zahnsplitter und die Hülse auf der Lehne ab und sprach wild gestikulierend davon, daß Gemeine Grundhaie – nein, er verwende eigentlich viel lieber einen der Spezialnamen, nämlich die australische Bezeichnung Swan River Whaler – , daß also der Swan River Whaler nicht nur im Meer und dort vor allem im Küstenbereich auftreten würde, sondern auch in Flüssen oder sogar Seen, denn er vertrage Süßwasser, wie übrigens auch hohe Dosen an Salz.
»Amazonas, Sambesi, Mississippi, dazu eine Menge australischer Flüsse, Herbert River, Brisbane River und natürlich Swan River, auch Seen wie der St. Lucia Lake oder der Lago de Nicaragua«, referierte Slatin, dessen
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