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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Wackelige, denke ich, soll die Bereitschaft zur Gewalt zum Ausdruck bringen. Sehr enervierend alles.«
    Lukastik hob gottergeben seine Hände. Womit er wohl bedeuten wollte, daß der FBI-Habitus nun einfach dazugehöre. Wie auch die wackeligen Bilder. Damit müsse man leben. Gleich darauf benutzte er eben diese Hände, um sich von zwei Seiten an den Kopf zu fassen.
    »Schmerzen?« fragte Slatin.
    »Na, sagen wir«, antwortete Lukastik, »mir steckt ein Fisch im Schädel.«
    »Den werden Sie kaum wieder loswerden«, prophezeite Slatin.
    »Das fürchte ich auch.«
    Erich Slatin erhob sich. Der helle Fleck seiner Beinhaut verschwand hinter dem tunneligen Vorhang der Anzughose. Slatin warf einen verächtlichen Blick auf die mitgebrachten Blumen, ganz so, als wolle er sich für selbige entschuldigen. Seine eigentliche Entschuldigung galt dann aber dem Umstand, Lukastik so lange belästigt zu haben.
    »Keineswegs«, erklärte Lukastik, »außerdem war ich es ja, der Sie hat rufen lassen.«
    »Richtig«, sagte Slatin. »Draußen stehen Ihre FBI-Kollegen, um mich zurückzubringen zu meinem Slatinhai . Ich soll zusammen mit Dr. Paul eine Sektion vornehmen. Einerseits freue ich mich darauf. Andererseits erscheint es mir als Schande. Einen Körper zu öffnen, das hat etwas Gottloses. Nicht, daß ich gläubig wäre. Aber es schreckt mich, wie ein Dieb in einen Leib einzudringen. Als bohre man ein Loch in einen Tresor.«
    »Da müssen Sie wohl durch«, sagte Lukastik.
    »Da muß ich durch«, bestätigte Slatin, gab Lukastik zum Abschied die Hand und warf einen letzten sehnsüchtigen Blick hinaus auf den Park wie in eine unerreichbare Welt. Dann ging er nach draußen. Aus der Ferne vernahm man das Geläute von Kirchenglocken. Es war wie auf dem Land. Aber man befand sich natürlich mitten in Wien.

23       Richard Lukastiks Blick folgte dem Verlauf des Ofenrohrs, das sich von einer Längsseite des Raums zur anderen streckte und durch das hindurch die Hitze polterte. Monate waren vergangen. Der Sommer, den viele als »ewig« apostrophiert hatten, war klammheimlich dahingeschieden, wie einer von diesen alten, angeblich weltberühmten Schauspielern, die heutzutage keiner mehr kennt.
    Wer jetzt nach draußen blickte, sah Schnee herabsinken, dicke Flocken, groß wie Kolibris. Allerdings blieb der Schnee nicht liegen, sondern zerfloß auf den Flächen städtisch-warmer Gassen und Straßen. Da es sich um den ersten Schneefall des Jahres handelte, staute sich der Verkehr. Nicht aus einer wirklichen Not heraus. Jeder harmlose Regen wäre geeigneter gewesen, ein Verkehrschaos zu bewirken. Aber es war nun mal die Hochachtung vor dem ersten Schnee, der die Menschen dazu veranlaßte, sich ungeschickt und umständlich zu geben. Man könnte sogar von Demut sprechen und einer daraus resultierenden Verpflichtung, durch komplizierte Fahrweise eine Verstopfung der Straßen zu verursachen. So wie es sich gehört, am Heiligabend die Kirchen und während sogenannter Hitzewellen die Eingänge der Freibäder zu verstopfen. Verstopfungen, egal welcher Art, sind so gut wie immer ein Ausdruck von Demut. Vor dem Gewicht der Natur, den Segnungen der Moderne, vor dem Geworfensein des Menschen und ähnlichem.
    Lukastiks Blick ging jedoch nicht nach draußen, sondern wanderte von dem mehrere Meter entfernten Ofenrohr wieder zurück zum Antlitz der Person, die ihm gegenübersaß. Nicht nur, daß er sich zum ersten Mal in Begleitung einer Frau im Weinhaus Sittl befand, war es noch dazu seine Schwester, mit der er sich hier sehen ließ. Und zwar auf deren eigenen Wunsch hin. Niemals hätte Lukastik es von sich aus gewagt, eine solche Einladung zum Abendessen auszusprechen. Seine Schwester hatte dieses Zusammensein richtiggehend gefordert, wohl aus einer merkwürdigen Laune heraus. Eine Laune von der Art, die auch die korrektesten Menschen dazu verführt, unbezahlte Waren einzustecken oder in aller Öffentlichkeit eine Blähung loszuwerden.
    Jedenfalls saßen die Geschwister an einem der Tische des Sittl , jeder eine Portion Kalbsbeuschel mit Knödel vor sich. Ansonsten trennten sie nur noch Salz, Pfeffer und Suppenwürze sowie ein kleiner Strauß von Seidenblumen. Wobei diese Gegenstände einen ausgesprochen antiquarischen Eindruck machten, die Suppenwürze noch mehr als der künstliche Strauß. Man könnte sagen, daß dieser Ort dazu angetan war, den beiden Geschwistern jene Zeit in Erinnerung zu rufen, als sie ein »Paar« gewesen waren. Und wirklich

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