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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Hai sich an Bord eines vielleicht acht Meter langen Sportflugzeuges befand. Interessant ist aber, daß dieses Flugzeug, nachdem es eine Schneise durch die Baumschule gezogen hatte, im Bachbett der Liesing gelandet ist, wo es auseinanderbrach. Sie wissen schon, ich rede von diesem Rinnsal, das damals wie heute die Gegend durchzieht. Darin sahen die Berichterstatter jener Tage ja einen weiteren Spaß, daß nämlich irgendwelche italienischen Versuchsfische ausgerechnet in ein Wiener Flüßchen gefallen waren. Aber niemand sprach von einer Gefahr, nicht 1963. Man hat zu dieser Zeit der Chemie vertraut, sogar der italienischen. Es schien ja auch nicht wirklich einen Grund zu geben, sich Sorgen zu machen. Die toten und halbtoten Äffchen und Meerschweinchen und Nagetiere wurden eingesammelt, die lädierten Fische – soweit auffindbar – in Behälter gepackt, das Wrack und die beiden Leichtverletzten nach Italien geschafft, das war’s auch schon. Kaum Aufregung. Wie gesagt, eher Belustigung.«
    »Ich verstehe«, sagte Lukastik, »auf diese Weise könnte zumindest ein noch sehr junger Hai in den Bach und von dort in einen der Kanäle gelangt sein.«
    »Nicht bloß einer«, korrigierte Slatin, »sondern mindestens zwei, und zwar verschiedenen Geschlechts, wenn man die weitreichenden Folgen bedenkt. Auch vermute ich, daß diese Fische bereits in einer bestimmten Weise präpariert gewesen sind. Müssen sie sogar. Schließlich kann man das kühle Wasser der Liesing in bezug auf Haie kaum als kompatibel bezeichnen. Nein, diese Fische waren genetisch verändert und haben sich wohl in den darauffolgenden Jahren weiter in Richtung auf eine beträchtliche Robustheit entwickelt. Wenn man den Carcharhinus leucas schon zuvor als einmaligen Fisch bezeichnen konnte, so ist er in diesem Fall zu etwas Herausragendem geworden – extrem flexibel, extrem angepaßt, auch extrem schön, bedenkt man diese exotische Färbung der blinden Augen. Ich wüßte eine solche Farbe nicht zu benennen  … Bergblau, aber klarer, schneidender und dennoch nicht so kalt wie Bergblau. Ich würde fast von einer Farbe als optischer Paradoxie sprechen. Herrlich! Die Forschung hätte ihre Freude. Aber man wird die Sache wohl unter den Tisch kehren. Nicht, daß ich glaube, die Italiener hatten damals vor, irgendeine ichthyologische Superwaffe zu entwickeln. Ich denke eher an Grundlagenforschung. Heutzutage freilich betrachtet man derartige Dinge mit großer Ängstlichkeit. In den Labors der Privaten mag sich ja Abenteuerliches abspielen. Der Staat aber fürchtet sich. Der Staat fürchtet die Zukunft. Er meint wohl, ihr entkommen zu können.«
    »Ich muß sagen«, äußerte Lukastik, der keinesfalls über den Staat diskutieren wollte, »ich kann mich über diese Fische nicht wirklich beklagen.«
    »Ja«, nickte Slatin, »diese reformierte Art scheint sich auf Aas spezialisiert zu haben. Auch Tobias Oborin dürfte schon tot gewesen sein, als die Haie ihn attackierten, obgleich natürlich der gute Mann noch weit vom Zustand eines Aases entfernt gewesen ist.«
    »Sie meinen, daß Sternbach  …«
    »Muß nicht sein. Vielleicht hatte Oborin Probleme mit dem Sauerstoff, Probleme mit dem Herzen, mit der Orientierung. Jedenfalls bin ich mir ziemlich sicher, daß der Haiangriff, das Abreißen eines Beins, einer Hand, die Vielzahl der Verletzungen, als bloße Laune der Fische zu verstehen ist. Als heftige Spielerei. Hungrig waren diese Tiere keinesfalls. Eher gelangweilt. Würden wir danach suchen, würden wir das Bein und die Hand sicherlich finden. Jedenfalls deutet nun also doch alles auf eine Art von Badeunfall hin. Wenn man das so sehen will.«
    »So wird man es wohl sehen wollen«, sagte Lukastik, »aber immerhin haben sich die mysteriösen Anteile dieser Geschichte so ziemlich aufgelöst.«
    »Na, ich weiß nicht recht«, meinte Slatin mit einem Kopfschütteln, das die Bewegung der Birke zu imitieren schien, »ein solcher Fisch und ein solches unterirdisches Gewässer sind nicht gerade ein Vorbild an Eindeutigkeit.«
    Auch darüber wollte Lukastik nicht diskutieren. Er war durchaus zufrieden über die Entschlüsselung der Umstände. Selbst die Tatsache eines Liftes, der bis hinunter zum See führte, würde sich schlußendlich in einer vernünftigen Weise enträtseln lassen. (Was leider nicht der Fall war, wohl auch darum, da man aus Gründen der Geheimhaltung weder Baufirmen noch Architekten einer Befragung unterzog. Vielleicht auch, um nicht allzu viele

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