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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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hinüber zu der Frau mit dem Kinderwagen, während er abermals die beiden letzten Seiten der Abhandlung aufschlug. Die Frau hatte ausgeraucht. Sie wippte jetzt den Wagen. Als sie aufsah, bemerkte sie Lukastik. Sie verschob ein wenig ihre Lippen, was wohl bedeuten sollte, er sei ein armer Trottel, wenn er einen solchen verschlingenden Blick nötig habe. Sofort senkte Lukastik selbigen Blick – verschlingend oder nicht – und vergegenwärtigte sich jene Wittgensteinsche Maxime, die da heißt: Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.
    »Wie überaus passend«, dachte Lukastik, der wie die meisten Laien den aphoristischen und apodiktischen Charakter der ersten und letzten Seiten dieses Buches besonders hoch schätzte, während er das Formelwerk dazwischen eher als Denksportaufgabe für Intelligenzbestien empfand.
    Indessen Lukastik also hinter jenem von einem Haifisch getöteten Mann ein vollkommen rätselloses Verbrechen vermutete, ordnete er jenes seltsam unbegründete Gefühl, es könnte eine Verbindung zwischen den beiden Kinderwagen schiebenden Frauen bestehen, in den Bereich des Unaussprechlichen und damit Mystischen. Und wenn nun bedacht wird, daß Wittgensteins weltberühmter und geradezu ins kollektive Bewußtsein eingegangener Schlußsatz lautet »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen«, so mußte dies natürlich auch bedeuten, daß man über solche unaussprechlichen Dinge ebensowenig nachdenken konnte und sich erst recht nicht seinen Kopf zu zerbrechen brauchte.
    Weshalb Lukastik endlich seine Irritation bewältigte, indem er sich vor sich selbst für unzuständig erklärte, einer Sache auf den Grund zu gehen, die gar keinen Grund besaß. Zumindest keinen Grund im Faktischen. Zumindest höchstwahrscheinlich.
    Sehr wohl zuständig war er allerdings für das penetrante Geläute in der Innentasche seines Jacketts. Rasch griff er nach dem Handy und betrachtete das Display, das wie ein winziger, beleuchteter Pool schimmerte. Oder wie ein Aquarium. Jedenfalls schwamm auf dem Grund dieses kleinen Beckens die Nummer des Anrufers, Jordans Nummer.
    Lukastiks schnelle Reaktion resultierte aus einer gewissen Scham angesichts des Lärms, den er – beziehungsweise sein Instrument – verursachte. Vor allem die Möglichkeit, das Baby dieser fürchterlichen Frau mittels des Geklingels aufzuwecken, schreckte ihn. Auch wenn ein Baby hier eigentlich nichts verloren hatte.
    Freilich bezog sich seine Scham allein auf das Geräusch. Prinzipiell hielt Lukastik diese federleichten, handlichen und eleganten Kommunikationsmittel für einen Segen. Um wieviel auffälliger und peinlicher war es doch noch gewesen, als die Kellner oder Wirte in den Cafés und Wirtshäusern seinen Namen ausgerufen hatten, nicht selten unter Verwendung des Dienstranges, so daß er am Weg zum Telephon den Blicken der Gäste ausgeliefert gewesen war, Gäste, welche nicht selten eine unüberhörbare Bemerkung darüber hatten fallenlassen, wie wenig dieser Mann ihrer Vorstellung von einem Kriminalinspektor entsprach oder aber wie völlig er in das Klischee eines solchen hineinpasse. Allein das Gekicher Zigaretten rauchender Jugendlicher hatte Lukastik jedesmal in Rage gebracht, so daß ihm oft danach gewesen war, diese pubertierenden Banden vom Fleck weg zu verhaften.
    Diese Zeiten waren vorbei. Gut so. Zwar mußte man auch jetzt, läutete das Handy, sich mit der Teilnahme seiner Mitmenschen an diesem Ereignis abfinden. Aber um wieviel allgemeiner war ihr Mustern und um wieviel schneller klang es ab.
    Daß ein solches Geläute geeignet war, ein Kleinkind aus dem Schlaf zu reißen, war einer der wirklichen Nachteile. Ein weiterer resultierte gewissermaßen aus einem Vorteil. Weil man nämlich an Hand des Displays wissen konnte, wer sich da gerade um eine Kontaktnahme bemühte, bestand die Möglichkeit einer gezielten Verweigerung. Sich einem bestimmten Anrufer gegenüber taub zu stellen, war eine gute und richtige Sache, wenngleich ein ungebremst vor sich hinklingelndes Telephon natürlich weitere Aufmerksamkeit provozierte. Das eigentliche Problem aber lag in dem Umstand, daß das Display zwar die Identität des Anrufers verriet, beileibe aber nicht dessen Anliegen prognostizierte. Und noch eines war zu bedenken: Auch ein ungeliebter Anrufer hatte möglicherweise etwas Wesentliches, etwas Entscheidendes oder auch nur Interessantes mitzuteilen. Während selbst der netteste Mensch mitunter allein aus dem

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