Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Rätsels hervorrief.

7       Daß Lukastik nun, da es später Abend geworden war, jenes bestimmte, nicht ganz unberühmte Wirtshaus betrat, welches das Erdgeschoß eines Eckhauses ausfüllte, war zwar nicht Teil seiner eisernen Regeln, stellte aber durchaus eine Gewohnheit dar. Was einerseits damit zusammenhing, daß nach zwei Tellern Suppe sich ein nachträglicher Hunger einstellte, während Lukastik andererseits den Tag in Gesellschaft ausklingen lassen wollte. Ohne daß ihn diese Gesellschaft zu größeren verbalen Taten verpflichtet hätte.
    Spätestens um Mitternacht pflegte er dann zu Bett zu gehen. Wobei die Anweisung galt, ihn um diese Zeit nur im äußersten Notfall zu stören. Die wenigsten Dinge besaßen jene Dringlichkeit, mit der vor allem filmische Kriminalisten zu später Stunde aus ihren Betten geholt wurden, um an Tatorten herumzujammern. Lukastik hingegen vertrat die vernünftige Ansicht, daß die gehobene Position, die er bekleidete, ihn mindestens dazu privilegierte, sechs, sieben Stunden durchschlafen zu können. Zudem wurde kein Toter in dieser kurzen Zeit toter. Und um eine Fahndung rasch einzuleiten, war sicher kein Chefinspektor vonnöten. Ganz abgesehen davon, daß auch flüchtende Täter eines Schlafes bedurften und alles, was sie im Zuge ihrer Flucht planten und unternahmen, sich dadurch relativierte, daß sie ihrem Schlafbedürfnis unweigerlich und im wahrsten Sinne erliegen würden. Vorsprünge neigten tendenziell zur Schmelzung. Tatsächlich geschah es häufiger als angenommen, daß flüchtende Kriminelle in Phasen, da sie schliefen, gestellt und überwältigt werden konnten. Die Polizei besaß nun mal den Vorteil, in Schichten arbeiten zu können. Ein Vorteil, auf den Richard Lukastik nur äußerst ungern verzichtete.
    Und nicht weniger ungern entsagte er einem zweiten Abendessen im Weinhaus Sittl . Seit gut fünfzehn Jahren besuchte er dieses Lokal, das den Charme eines älteren Herrn besaß, der faltig und grau, ohne Krawatte, aber mit Hut auf dem blanken Haupt, über eine aufrechte Haltung verfügte, sowie einen mäßig raschen, aber ausdauernden Gang. Eines Herrn, der noch immer seine eigenen Zähne im Mund mitführte, zumindest einige davon.
    So angegriffen solche Zähne auch sein mögen, sie stellen einen Triumph des Lebens dar. Während noch die schönste Zahnprothese eine peinliche Leugnung des Todes bedeutet. Es mutet unsinnig an, Dinge zu leugnen, die nicht zu leugnen sind. Weshalb ja ältere und alte Menschen, die eine Straffung ihrer Gesichtshaut vornehmen lassen, nicht nur bloß einen albernen Eindruck hervorrufen, sondern auch einen geisteskranken.
    Das Weinhaus Sittl hingegen wirkte weder albern noch geisteskrank, sondern bewegte sich zwischen Schäbigkeit und Originalität. Alles hier zeichnete sich durch einen schmucklosen Gehalt aus, war allein der Funktion verpflichtet, allerdings ohne im geringsten die penetrante Durchdachtheit zu besitzen, die man gelungenem Design nachsagt. Nichts schien hier konstruiert, alles »geboren«, so als ob eben mitunter auch ein Wein- oder Wirtshaus aus der Natur heraus entstehen konnte.
    Die Stühle und Tische weckten absolut keine andere Assoziation, als von Menschen genutzt zu werden. So wie die Lampen ausschließlich der Beleuchtung zu dienen schienen, der Erhellung des Raumes und der Handlungen. Selbst die Speisen schmeckten einzig und allein nach sich selbst, ein Rindsgulasch nach Rind und nicht etwa nach zerdrückten Mandarinen oder wonach auch immer ein Gulasch schmecken konnte, wenn man nur umständlich genug an ihm herumbastelte.
    Aus dieser »Natürlichkeit« sowie dem elementaren Prozeß der Alterung hatte sich nun der Charme des Sittls ergeben – ein Fabelwesen ohne Fabel, eine Monstranz ohne Kranz, ein Triumph ohne Geschrei. Man konnte dieses Lokal auch als ein Schiff ansehen, das nicht nur ohne pompöse Aufbauten und luxuriöse Kabinen auskam, sondern eigentlich auch ohne Wasser, aber durchaus über einen Anker verfügte, der fest im Boden steckte.
    Die beiden jungen und erstaunlich hübschen Frauen, die gerade bedienten, standen nur auf den ersten Blick im Widerspruch zum einfachen Ambiente. Denn auch sie verhielten sich völlig unprätentiös, waren weder sonderlich freundlich noch sonderlich unfreundlich, schienen allen Ernstes nichts anderes im Sinn zu haben, als eine Bestellung aufzunehmen, das Essen und Trinken zu servieren und den Handel finanztechnisch abzuschließen.
    Zumindest galt dies für jene Gäste,

Weitere Kostenlose Bücher