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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Grund anrief, sich die Zeit zu vertreiben, indem er den Angerufenen um die seine beraubte.
    Im Grunde verspürte Lukastik wenig Lust, sich mit Jordan zu unterhalten. Eigentlich hatte er gehofft, sein Assistent würde erst am nächsten Morgen Bericht erstatten. Weshalb er jetzt überlegte, das Gerät, das wie das stark verkleinerte Modell eines Surfbretts in seiner Hand lag, einfach abzuschalten, also auch gar nicht erst abzuwarten, bis der Anrufer in die Sphäre der Mailbox übergeleitet worden war. Es wäre nicht einmal nötig gewesen, dieses Abschalten und die damit einhergehende offenkundige Mißachtung nachträglich zu rechtfertigen. Er, Lukastik, war der Chef. Er brauchte nichts zu begründen, brauchte sich keine Ausreden einfallen zu lassen. Nicht gegenüber einem Untergebenen, schon gar nicht gegenüber Jordan. Andererseits hatte er ja selbst Anweisung gegeben, sobald die Situation überblickt werden könne, informiert zu werden. Zudem stand fest, daß Jordan mit Sicherheit nicht anrief, um sich die Zeit zu vertreiben.
    Unwillkürlich sah Lukastik zur Seite, und erneut traf sich sein Blick mit dem der Frau. Ihr Ausdruck mutete so gelassen wie finster an.
    »Rauch lieber nicht so viel, du dumme Kuh«, murmelte er vor sich hin. Es gab Momente, da er sich vergaß. Immerhin ging er nicht so weit, laut zu werden. Aber eines war klar: Er haßte diese Frau. Verachtung oder gar Unbehagen wären viel zu schwache Worte gewesen. Er haßte ihr Art, wie sie dasaß, ein wenig lasziv, ungemein selbstbewußt, unmütterlich, unmütterlich schlank trotz einer Schwangerschaft, die kaum mehr als ein paar Wochen oder Monate zurückliegen konnte. Er haßte ihre Raucherei ja nicht nur, weil sich das in Gegenwart eines Kleinkindes nicht gehörte, sondern wegen der Haltung, der Positur, die sie dabei einnahm. Sie hielt die Zigarette, als würde sie mit Genuß ein altes Erbstück verbrennen. Wenn sie den Rauch ausstieß, schien die Luft, und eigentlich nicht nur die Luft, sondern der ganze Raum zu erzittern. Es war ihre Art, sich den Dingen aufzudrängen, eben alles und jeden in Schwingungen zu versetzen.
    Jemand zu verabscheuen, den man gar nicht kannte, hielt Lukastik für normal. Um einen Haß zu verspüren, reichte ein bestimmtes Aussehen völlig aus, eine bestimmte Gestik oder Mimik, die Weise, wie jemand seine Kaffeetasse hielt, sich breitbeinig vor einem Pissoir aufstellte, eine Waffe auf eine Zielscheibe richtete oder höflich darum bat, in einer Schlange vorgelassen zu werden, und zwar ohne ersichtlichen Grund. Menschen, die immer und überall den Vortritt in Schlangen erbaten, gehörten für Lukastik zum übelsten, was die Menschheit im zivilen, nichtkriminellen Bereich hervorgebracht hatte.
    Antipathie wog schwer. Objektivität etwa im Umgang mit Delinquenten hielt Lukastik für eine Illusion. Leute, die nach ihrer Kaffeetasse wie nach einer matschigen Pflaume griffen, behandelte er nun mal schlechter als andere. Deshalb hörte er aber noch lange nicht auf, die Indizien im Auge zu behalten. Niemand konnte sich retten, niemand konnte hoffen, von Lukastik geschont zu werden, bloß weil er die Tasse so hielt, wie auch der Chefinspektor sie zu halten pflegte, und zwar in der Art, mit der man eine Startpistole anhebt und es sodann ein paar ziemlich dünnen Menschen überläßt, sich über zehntausend Meter zu quälen.
    Lukastik entschied sich. Er gab die Leitung frei. Entgegen seiner Gepflogenheit, sich mit einem fragenden und fordernden »Hallo!?« zu melden, blieb er diesmal stumm, schlichtweg, da er im selben Moment, als er das Gerät an Ohr und Mund hielt – was der Kleinheit wegen schwierig genug war –, auch noch einen Schluck Kaffee zu sich nahm.
    In sein eigenes Schlürfen hinein vernahm er nun nicht die erwartete Stimme Peter Jordans, sondern die Klänge eines  … nun, Lukastik dachte augenblicklich an ein Musikstück von Bach. Er war noch immer genug Musikwissenschaftler, um auf ein paar Töne hin etwas derart Populäres wie das Präludium aus der Partita in E-Dur zu erkennen. Doch er bemerkte ebenso rasch, daß etwas nicht stimmte. Nicht nur deshalb, weil an Stelle von Jordans Stimme die Musik zu hören war, nein, die Musik selbst stimmte nicht. Einmal darum, weil es sich nicht – wie für diese Komposition üblich – um das Spiel einer Solovioline handelte, sondern um eine orchestrale Fassung. Doch darüber hinaus gab es eine noch viel einschneidendere Veränderung: die Musik schien zu zerfallen. Es rieselte und

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