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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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goldenen Huflattichs paarweise prangte, säumten den Weg der Landstraße. Das letzte davon an der östlichen Abzweigung nach Nullpunkt , einer Abzweigung, die mit einiger Wahrscheinlichkeit auch Sternbach genommen hatte. Durch die Ortschaft hindurch, die selbst aus der Nähe einen engen, sozusagen gefalteten Eindruck hinterließ, steuerte Lukastik den Wagen nach Norden, wo ein tief in die Erde geschnittenes Flußbett den Kamp barg, der gleich einer perpetuierenden Kette fallender Dominosteine dahinfloß. Jenseits des Flusses erhob sich jener steile, bewaldete Hügel, der von den Nullpunkter Bürgern des Sanatoriums wegen »Krankenberg« genannt wurde. Es gab sogar welche, die vom »Grabhügel« sprachen, was übrigens eine ziemliche Übertreibung darstellte. Niemand kam hierher, um zu sterben. Woran sich die meisten auch hielten.
    Über eine Brücke jüngeren Datums, die etwas von einer Baustelle besaß, gelangten Lukastik und Kosáry auf eine erstaunlich breite Fahrbahn, die schräg zur Erhebung aufwärts führte, um dann mittels einer scharfen Kehre in ein Plateau zu münden, auf dem drei Gebäude standen, sowie ein  … nun, vielleicht mußte man von einem Berg am Berg sprechen, indem nämlich hinter den drei Häusern eine Art Aufschüttung in die Höhe ragte, ein begraster Kegel von solcher Regelmäßigkeit, daß sich die Vorstellung, es handle sich um ein Produkt der Natur, schlichtweg verbot. Eher durfte von einer postmodernen Spielerei die Rede sein, von einer esoterischen Maßlosigkeit.
    Der spitze Hügel schien auf eine betont illustrative Weise eine Verbindung zwischen Erde und Himmel darstellen zu wollen, eine Verbindung, die Lukastik für unmöglich und unsinnig hielt. Natürlich erst recht im übertragenen Sinn. Seine Devise lautete: entweder – oder. Darum auch muteten ihm Menschen, die ins Religiöse oder gar ins Metaphysische verwickelt waren, stets schizophren an. Wie Mäuse, die sich für Tauben hielten.
    Die drei Gebäude und der begraste »Berg am Berg« waren in einer präzisen Diagonale angeordnet, wobei die Höhe der Objekte sich zum abschließenden Kegel hin kontinuierlich steigerte. Zuvorderst stand das eigentliche Hotel, ein Bau aus der Zeit um 1900, dessen Fassade aus graugrünen, sehr schmalen hölzernen Latten zusammengesetzt war und den Gedanken an eine Streichholzarbeit hervorrief. Durchgehende Balkone dominierten die dreistöckige Hauptfront. Auf Höhe der ersten Etage führte linker Hand eine Terrasse an ein angrenzendes Waldstück heran, gleich einer ausgestreckten Hand, die ihr Ziel nicht ganz erreicht. Unterhalb der Veranda ergab sich der weite Raum eines Restaurants. An mehreren Stellen des Gebäudes waren Abbilder jenes namensstiftenden goldenen Huflattichs angebracht, ohne daß der Name selbst auf der Fassade aufschien. Vor dem Hotel öffnete sich ein kleiner Platz mit kuchenartig geschnittenen Hecken und einigen kleinen Springbrunnen. Mehrere Fahnenmaste flankierten den geraden Kiesweg, der zum Eingang des Hotels führte. Die angebrachten Flaggen, die im schwachen Wind mehr röchelten als wehten, verwiesen auf einige der bekannten Urlaubsländer. Diese Demonstration von Internationalität wirkte kindisch und überflüssig. Überhaupt fand Lukastik, Flaggen gehörten zum Dümmsten, was Menschen sich hatten ausdenken können. Daß irgend jemand angesichts einer solchen »abgezogenen Haut« einen gesunden Nationalstolz entwickelte, war eigentlich undenkbar.
    Bei den beiden Komplexen, die schräg hinter dem Hotel aufragten und durch schmale Wege verbunden und schmale Wiesenstreifen getrennt waren, handelte es sich um moderne Gebäude, kaum älter als ein paar Jahre. Im Grunde hätte man sie für zwei Kirchen halten können. Oder zwei Schwimmhallen. Viel Glas. Viel sakraler Impetus. Aber selbstverständlich war in diesen Trakten das Sanatorium untergebracht, was wiederum weder die Existenz einer Schwimmhalle noch einer Kirche ausschloß. Im Gegenteil.
    Der Parkplatz lag ein wenig seitlich, umrahmt von Bäumen, isoliert. Unter den abgestellten Wagen entdeckte Lukastik auch einige Opel, doch keinen mit dem gesuchten Kennzeichen. Was ihn nicht wirklich deprimierte. Auf den Opel kam es nicht an. Den würde man schon noch finden.
    Vorbei an den beflaggten Masten traten Lukastik und Kosáry über den weißen Kies, so weiß, daß man an gebrochene Kreidestücke denken mußte. Und genau ein solches Geräusch, ein Geräusch wie von Kreide, entstand beim Gehen und ließ einen unangenehmen

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