Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
war, gar nicht wirklich verlassen hatte. Daß er also – um nochmals das Bild des Hurrikans zu bemühen – sich ins Auge des Wirbelsturms gesetzt hatte, hinein in die ruhige, windarme Mitte. Wobei ein Kurhotel natürlich eine besonders passende Metapher solcher Ruhe und Verschonung lieferte.
Allerdings war schwer vorstellbar, daß sich Sternbach einer Illusion darüber hingab, unentdeckt zu bleiben. Selbst dann, wenn er über gefälschte Papiere verfügte. Was hätten die auch nützen sollen, um so mehr, als Sternbach in der Eile wohl kaum in der Lage gewesen war, auch noch sein Gesicht zu fälschen. Ein Gesicht, welches, wenn die Polizei dies für nötig hielt, schon am nächsten Tag in den Zeitungen des Landes abgedruckt sein konnte. Abgesehen davon widersprach es Sternbachs Wesen, eine optische Tarnung vorzunehmen, fantômasische Spiele oder ähnlichen Unfug zu versuchen. Er bewegte sich eindeutig in einer höheren Liga. Zudem konnte er sich denken, daß Esther Kosáry über den Tausch der Wagen berichten würde. Und daß man also demnächst in der Garage des Hotels oder zumindest in der Nähe von Nullpunkt auf den geborgten Opel stoßen würde.
Lukastik war überzeugt, daß Sternbach nicht wirklich vorhatte, sich dem polizeilichen Zugriff zu entziehen. Oder irgendeiner Art von Strafe auszuweichen. Diese Flucht war Sternbach ja geradezu aufgedrängt worden. Nein, alles was dieser Mann nun unternahm, zielte darauf hin, sich bloß noch ein wenig Zeit zu verschaffen. Auch indem er Jordan und Boehm überwältigt hatte. Er war in keinem Moment willens gewesen, die beiden zu töten. Eben darum, weil er nie ernsthaft daran geglaubt hatte, den Verdacht gegen die eigene Person langfristig abwenden zu können. Nur dann wäre eine Tötung aber sinnvoll gewesen.
Wenn Sternbach nun diesen kleinen Hinweis gegeben hatte, welcher um den Begriff »Pferdefuß« kreiste, dann war dies einzig und allein als eine Geste in Richtung Lukastik zu verstehen, da dieser Sternbachs sogenannte Flucht ja nicht bloß begünstigt, sondern auch verschuldet hatte.
Lukastik sollte eine zweite Chance erhalten. Und war auch wild entschlossen, sie zu nutzen, vorausgesetzt, er lag richtig mit seiner Vermutung, daß mit »Pferdefuß« allein dieses Hotel nahe Nullpunkt gemeint sein konnte.
»Trinken Sie aus. Wir fahren zurück«, wandte sich Lukastik an Kosáry.
»Was soll das heißen? Zurück?«
»Dorthin, wo Sternbach Sie rausgelassen hat.«
»Wieso das denn?«
Lukastik zeigte hinüber auf das Schild und erläuterte seine Vermutung.
»Warum sollte Sternbach das tun?« fragte Kosáry. »Die Polizei ist hinter ihm her. Das ist kaum der richtige Moment, um eine Kur zu beginnen.«
»Wir suchen Sternbach in der ganzen Umgebung. Nur an diesem einen Ort nicht. Weil das die Vernunft verbietet. Eben darum ist es aber nicht minder vernünftig, daß Sternbach sich genau an diesen Ort und in dieses Hotel begeben hat.«
»Na gut. Aber wie vernünftig kann man es noch nennen, den Pferdefuß erwähnt zu haben?«
»Sternbach will, daß ich es bin, der ihn findet. Gefunden wird er früher oder später sowieso, gleich wie gefinkelt er sich verhält. Dann doch lieber von jemand, mit dem ihn etwas verbindet.«
»Verbindet? Was denn?«
»Die Tatsache«, sagte Lukastik, »daß Sternbach kein Trottel ist.«
»Wie denn? Sie meinen, Sie halten sich und ihn für Geistesgrößen?« fragte Kosáry, wobei sie ein wenig zurückwich, als befürchte sie einen Schlag ins Gesicht.
Lukastik hob seine rechte Hand aber bloß. Wie um zu schwören. Solcherart posierend, meinte er, daß von Geistesgröße nicht die Rede sein könne, allerdings von einem gewissen Niveau.
»Ein Niveau«, präzisierte Lukastik, »zu dem auch ein Fehler gehört, wie ich ihn begangen habe, indem ich ausgerechnet Sternbach gewählt habe, Sie nach Györ zu bringen. Es gibt eben Fehler, die eine gewisse Klasse besitzen.«
»Eingebildet sind Sie gar nicht, was?«
Lukastik enthielt sich einer Antwort und deutete statt dessen auf seinen Ford Mustang, um sich auch sogleich zu erheben. Esther Kosáry dagegen nahm ein letztes Mal ihre Tasse in beide Hände und leerte den restlichen Kaffee, als schlürfe sie Suppe. Dann fuhr sie sich mit dem Handrücken über den Mund, stand auf und folgte Lukastik zum Wagen, der sich während des Aufenthalts in eine Wärmflasche verwandelt hatte.
14 Hotel und Sanatorium waren nicht zu verfehlen. Dreiweitere von den Schildern, auf denen die Darstellung
Weitere Kostenlose Bücher