Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
zurück an den Tisch, nahm nun doch, wie um den imaginierten Geschmack von Baldrian und Fenchel aus dem Mund zu bekommen, einen Schluck des süßen, milchigen Kaffees und fragte Esther Kosáry, ob sie eine Ahnung hätte, unter welchem anderen Name der Huflattich bekannt sei.
»Wie kommen Sie jetzt darauf?« wunderte sich Kosáry.
»Beantworten Sie einfach meine Frage.«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht mal, wie ein Huflattich überhaupt aussieht. Halten Sie mich für eine Grüne? Gott behüte!«
»Nein, tue ich nicht«, sagte Lukastik und meinte es ernst. Kosárys fahles Antlitz legte eher eine ganze Menge Chemie nahe. Sie schien mehr noch als Lukastik zu jenen zu gehören, die den raschen Einwurf einer Tablette jeglicher Umständlichkeit und Moralität vorzogen.
Lukastik stand auf und sagte, er würde zahlen gehen. Danach könne man weiterfahren.
Als er nun an die Theke trat und der dicken, völlig reizlosen Frau einen Geldschein vor die Nase legte, hatte er nicht eigentlich vorgehabt, dieselbe Frage nach dem Huflattich noch einmal zu stellen. Die Frage fiel ihm förmlich aus dem Mund, wie einem ein Glas aus der Hand gleitet. Nur, daß dieses Glas eben nicht zerbrach, sondern gewissermaßen auf allen vieren landete. Und zwar in Gestalt des Scheins, den die Frau nun an sich nahm und einsteckte, ohne jedoch das fällige Wechselgeld herauszugeben. Statt dessen servierte sie eine Antwort: »Wenn Ihnen Huflattich nicht gefällt, können Sie auch Pferdefuß dazu sagen. Manche tun das.«
Ja. Das war es. Lukastiks bloßes Gefühl erfuhr jetzt eine konkrete Entsprechung. Gut möglich, daß kurz zuvor – als ihm das Schild mit der Werbeaufschrift aufgefallen war – sich ein tief verschüttetes Wissen gemeldet oder eben bloß angeklopft hatte. Die übereinstimmende Bedeutung von Huflattich und Pferdefuß war ja durchaus etwas, das einem Menschen im Laufe seines Lebens unterkommen konnte. Und sei’s in der Schule.
Die Ahnung hatte sich also zur Gewißheit verdichtet. Dennoch wäre es Lukastik lieb gewesen, sein Wechselgeld herausbekommen, zu groß war der Schein, den er auf den Tisch gelegt hatte. Das sagte er auch. Die Frau jedoch gab ein Geräusch von sich, als schleife sie kleine Messer in ihrer Mundhöhle und wandte sich sodann einem Gast auf der entgegengesetzten Seite des Schanktisches zu. Offensichtlich hielt sie ihre Information für bedeutend genug, um ein beträchtliches Trinkgeld zu rechtfertigen. Und damit lag sie eigentlich auch richtig. Was Lukastik allerdings ärgerte, war der Umstand, daß die Frau die Brisanz ihrer Antwort doch gar nicht hatte beurteilen können. Wie denn auch?
Nun gut, möglicherweise hielt sie es bereits für kostenpflichtig, ihren Mund aufzutun, um ein wenig zu knurren. Es gab solche Leute. Es gab eine ganze Menge davon.
Lukastik produzierte seinerseits einen verächtlichen Ton, gab sich jedoch geschlagen und ging wieder ins Freie hinaus. Er blieb im Schatten eines kleines Vordaches stehen und blinzelte in die pralle Helligkeit hinaus. In etwas, das gleichzeitig saftig und trocken war.
Er dachte nach und fragte sich, ob es denn wirklich möglich war, daß Sternbach mit seinem peinlichen, rätselartigen Fingerzeig diese Pflanze gemeint und in weiterer Folge beabsichtigt hatte, auf das Kurhotel hinzuweisen, welches der Wegbeschreibung nach in jenem Waldstück lag, das am Rande der Ortschaft Nullpunkt steil aufragte.
Wenn dies der Fall war, wenn allen Ernstes das Wort Pferdefuß für das Hotel zum goldenen Huflattich stand, dann mußte dies eigentlich bedeuten, daß sich Sternbach genau dort aufhielt. Daß er also, nachdem er Esther Kosáry unweit des Sportplatzes verabschiedet hatte, zwar weiter Richtung Wien gefahren war, wenig später aber eine Abzweigung genommen hatte, um nach Nullpunkt zurückzukehren und schließlich jene von zwei Gastronomien bestimmte Anlage zu erreichen.
Im ersten Moment wirkte eine solche Entscheidung absurd, geradezu halsbrecherisch. Auf den zweiten Blick jedoch raffiniert. Denn natürlich war man davon ausgegangen, daß Sternbach versuchte, die Landeshauptstadt zu erreichen oder etwa in das benachbarte Tschechien zu flüchten. Vielleicht auch nach Linz. Es war sogar überlegt worden, daß er die Frechheit besitzen könnte, den Wagen zu wenden, um das heimatliche Zwettl anzusteuern. Vieles kam in Frage. Was nun aber eigentlich nicht in Frage kam, war die Vorstellung, daß Sternbach schlichterdings den Ort, an dem er Esther Kosáry losgeworden
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