Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
andere Bettseite. Die beiden Liebenden zogen sich aus, einander die Rücken zukehrend. So hatten sie das auch früher schon getan, nicht aus Scham, sondern aus Respekt. Es schaut einfach nicht gut aus, wenn ein Mensch, gleich welcher, sich auszieht oder, noch schlimmer, von jemand anders ausgezogen wird. Schwer zu sagen, was daran schuld trägt. Jedenfalls waren Alexa und Richard immer schon so klug gewesen, sich diesen ernüchternden und demotivierenden Anblick zu ersparen. Sie entledigten sich also in aller Ruhe ihrer Kleidung und schlüpften sodann vollkommen nackt unter die gemeinsame Decke.
Natürlich, ihre Körper waren nicht mehr dieselben. Strenggenommen waren es sogar vollkommen andere Körper, nicht nur einfach dicklicher. In siebenundzwanzig Jahren war der Leib ein anderer, andere Haut, andere Haare, ein anderer Geruch. Aber davon ließen sich die beiden jetzt nicht beeindrucken, sie umfaßten sich so zärtlich wie heftig. Es bestand eine Vertrautheit, die jenseits aller körperlichen Wechsel stand. Es bestand ein Fehlen von Angst. So war es immer gewesen. So schwierig die Situation damals wie heute war, es mangelte einer wirklichen Angst. Angst vor dem Sex. Die Angstfreiheit ließ die beiden auf eine direkte Weise zueinanderkommen. Und weil sie frei von Angst waren, waren sie auch frei von Bildern. Bilder, die man erfüllen oder verfehlen konnte, und es wird ja selten klar, was das bessere davon ist. Nirgends so stark wie beim Sex, haben Menschen das Gefühl, alles, aber auch wirklich alles falsch zu machen.
Anders Alexa und Richard. Sie machten alles richtig, weil das Falsche für sie gar nicht existierte. Perfekt wie Tiere, die einem Programm folgen und nicht einem Bild.
Eine Welle ging in die nächste über. Es war eine ziemlich elektrische Angelegenheit. Als wären sie freundliche Gewitter, die Blitze austauschen. Ohne sich dabei umbringen zu wollen. Das ist sowieso der entscheidende Punkt am guten Sex, sich nicht umbringen zu wollen. Das eigene Geschlechtsorgan nicht mit einem Trojanischen Pferd zu verwechseln.
Kein einziges Wort fiel, keine der üblichen Aufforderungen, dies oder jenes zu tun oder zu unterlassen, kein Versuch, den Orgasmus herbeizureden. Die beiden gaben allein Geräusche von sich, Gewittergeräusche, versteht sich. Nur einmal, nachdem Alexa einen Höhepunkt erreicht hatte, der weder kolossal noch schlagartig gewesen war (keine Welle, die alle anderen erstickt), sondern milde, besänftigend, ja heilend, da drückte sie Richard fest an sich und sagte, ohne ein Zittern in der Stimme oder ähnliches: »Ich liebe dich.«
Ja, manchmal kann man das einfach so sagen.
Lukastik hätte gerne eine Steigerung angefügt. Aber was hätte er sagen sollen? Ich liebe dich doppelt? Unsinn! Also hielt er den Mund und vergrub sein Gesicht in der Mulde zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter.
Später, als die Sonne untergegangen war und die vom Tag aufgeheizten Gegenstände in der Dunkelheit ein wenig glühten, verließen Alexa und Richard das Bett, zogen sich an und gingen hinüber ins Restaurant.
Restaurant ist ein großes Wort, wenn man den kleinen, aus dunklem Holz getäfelten Raum bedachte, der zur Straßenseite hin lag und auf die Mitte des Universums zeigte, also auf ein Stück dunkle Gasse. Es gab vier Tische, das war’s. Frau Leda hatte einen davon wohlweislich für Lukastik reserviert. Es war ja nicht das erste Mal, daß er mit einer Dame hier speiste. Allerdings merkte Frau Leda gleich, daß Lukastiks heutige Begleiterin in eine ganz andere Kategorie gehörte. Aber welche denn? Nun, das brauchte sie nicht zu interessieren. Sie nahm die Bestellung auf und öffnete eine Flasche Wein.
»Und was jetzt?« fragte Alexa, nachdem man sich zugeprostet und einen Schluck getan hatte.
»Laß uns weggehen von Wien«, sagte Lukastik. »Ganz weg.«
»Willst du denn flüchten?«
»So kann man das nicht sagen. Ich möchte meine Ruhe haben.«
»Meine Güte, Richard. Du bist Polizist. Wo willst du hin?«
»Ich muß nicht Polizist bleiben.«
»Natürlich mußt du das. Darin besteht dein Wesen. Du hast ein Polizistenherz.«
»Du meinst, ich tauge zu nichts anderem.«
»Hör auf, den Beleidigten zu spielen«, sagte Alexa, ganz im Stil der großen Schwester. »Und hör auf, dir einzureden, du könntest auf Wien verzichten.«
»Ich habe diese Stadt noch nie gemocht.«
»Genau das meine ich. Du hast diese Stadt noch nie gemocht und lebst darum seit fünfzig Jahren hier. Hast du denn Wurzeln an den
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