Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
in alter Manier mir ihrer altklugen Mutter herum, verbrachte ganze Tage im Park, ganze Nachmittage in der Gemälde- und Skulpturensammlung von Schloß Belvedere und traf sich zwei-, dreimal die Woche mit einer Frau, die sie vor einem Bild des Biedermeiermalers Waldmüller kennengelernt hatte, eine Frau namens Anna Gemini. Eine Frau, die ihr gefiel. Was sie vom Rest der Menschen in dieser Stadt wirklich nicht behaupten konnte. Dagegen waren die Hamburger alle Engel.
Und dann war also auch ihr Bruder in die elterliche Wohnung übersiedelt, im Grunde gegen den Willen der Mutter, auch gegen den Willen der Schwester, während der Vater desinteressiert geblieben war. Aber im Prinzip war diese Wohnung das, was man als einen Elefantenfriedhof bezeichnet, einen Ort, an den man sich zum Sterben begibt. Und wie eben auch Alexa hatte Richard beschlossen, sich lieber zu früh als zu spät einzufinden.
»Hallo, Alexa«, sprach Lukastik in den Telefonhörer, während er noch immer auf dem Bett lag, Thomas Bernhards Alte Meister wie ein Baby auf seiner Brust wiegend.
»Richard?«
»Ja.«
»Was willst du?« fragte Alexa. Eine Ungeduld war in ihrer Stimme, die weh tat.
»Ich bin in der Pension Leda.«
»Aha. Und warum erzählst du mir das?«
»Ich würde dich bitten herzukommen.«
»Wieso das denn?«
»Könntest du mit der Fragerei aufhören«, drängte Lukastik, »und einfach tun, worum ich dich ersuche.«
Alexa aber fragte weiter: »Ist es was Ernstes?«
»Ja, es ist was Ernstes«, antwortete Richard.
»Na gut, ich komme. Aber nicht gleich, ich habe zu tun.«
»Was hast du zu tun?«
Jetzt war es Alexa, die eine Antwort unterschlug. Sie sagte: »Um sieben bin ich da.« Dann legte sie auf. Sie war in den letzten Jahren ihrer Mutter sehr ähnlich geworden: kalt, fischig – trotz aller Streiterei. Oder eher wegen der Streiterei. Wer mit einem Fisch kämpft, wird langsam selbst ein Fisch.
Die Liebesgeschichte mit ihrem Bruder war nie wieder ein Thema für Alexa gewesen. Auch nicht, als Richard ebenfalls in die Wohnung der Eltern eingezogen war. Sie begegneten einander so, wie ältliche Geschwister das meistens tun, auf eine intime Weise kontrovers, auf eine spielerische Weise verfeindet. Richard Lukastik freilich hatte den Gedanken nicht unterdrücken können, daß diese Frau die einzige gewesen war, die ihm je etwas bedeutet hatte. Und daß sie noch immer – bei aller Sprödheit – eine wunderbare Erscheinung war. Ein erkalteter Stern.
Und dieser erkaltete Stern trat Punkt sieben in sein Zimmer. – Eine Frau, die pünktlich war, war schon ein wenig unheimlich. Als hätte sie es einfach nicht nötig, zu spät zu kommen.
Hatte sie offenkundig auch nicht, so wie sie da stand, gemäldehaft, dunkelblond, mit Augen wie aus Steinen, aber Steinen von der Art, die man in Schatztruhen zu legen pflegt. Ihre Kleidung mutete ernst und streng an, steifer Rock und steife Bluse, in einem Braun nahe dem Orange. Sie war ein bißchen mollig geworden, aber das schadete nicht. Es war keine Molligkeit wie von Schokolade oder Tabletten, eher eine gewollte Molligkeit, als könnte man eben nicht nur Brüste, sondern auch Taillen erweitern lassen.
Alexa gehörte zu jenen Frauen, die es schafften, immer ein wenig größer als der ihnen gegenüberstehende Mann zu wirken, nur ein bißchen, gleichgültig, wie groß der Mann tatsächlich war. Es schien alles eine Frage der Körper- und Geisteshaltung. Mitunter reichte es, das Kinn richtig zu positionieren.
Im konkreten Fall jedoch lag der Mann auf einem Bett. Und blieb es auch. Er richtete sich bloß ein Stück auf und bat seine Schwester, sich einen Stuhl zu nehmen und zu ihm ans Bett zu kommen.
»Bist du krank?« fragte sie ihn.
»Wieso? Fürchtest du dich anzustecken?«
»Ich habe bloß keine Lust, dich zu pflegen.«
»Keine Sorge, es geht mir gut.«
Sie nickte, griff nach einem Stuhl, setzte sich. Sie verschränkte die Arme und verschränkte die Beine und entließ ein forderndes: »Na?«
»Ich habe an früher gedacht.«
»Bitte?«
Lukastik zeigte auf das Buch, das jetzt auf der anderen Betthälfte lag.
»Ach du meine Güte«, stöhnte Alexa. »Thomas Bernhard fand ich schon immer krank. Wie kann man sich nur so gehenlassen? Auch wenn er vermutlich in jedem Punkt recht hat. Trotzdem muß man sich ein bißchen beherrschen können. Selbst als Schriftsteller. Das wäre die eigentliche Kunst, sich zu beherrschen, nicht alles zu sagen, was einem in den Sinn kommt, auch wenn es das
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