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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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fand Lukastik. Er zog hörbar Luft durch die Nase, aber er sagte kein Wort mehr. Er verschob seinen Kopf in Richtung der Geißelung Christi, die links neben dem weißbärtigen Mann plaziert war. Und die dann also ebenfalls bloß an dieser Wand hing, um ein Loch zu verdecken, welches unverdeckt weiß Gott was für einen Schaden angerichtet hätte.
    Grünberg entfernte sich. Seine Schritte hallten. Dann wurde es vollkommen ruhig. Lukastik schloß die Augen, sank tiefer in die weiche Bank und schlief augenblicklich ein.

19
    Das Dröhnen der Maschinen. Man denkt an Schneekanonen. Aber man sitzt in einem Flugzeug. Warm ist es trotzdem nicht. Klima wie auf den Bergen. Die Stewardessen marschieren mit strengem Blick von Reihe zu Reihe, die angelegten Sicherheitsgurte kontrollierend. Typische Lehrerinnen. Nicht wirklich von dieser Welt. Und sicher nicht hier, um die Zufriedenheit der Kunden zu garantieren. So wenig Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen die Zufriedenheit der Eltern und Kinder im Sinn haben. Es geht um sehr viel kompliziertere Dinge. Es geht um die Einweisung ins Sterben. All diese Frauen in ganz typischen Frauenberufen, die aber nicht wirklich Frauen sind, bereiten uns auf den Tod vor, vom Kindergarten an. Sie lehren uns die richtige Haltung einzunehmen, eine gewisse Untertänigkeit, einen Respekt vor dem Ende.
    Im Flugzeug kommt das natürlich besonders stark zur Geltung, weil bei aller Tauglichkeit dieses Transportmittels ständig an den Absturz gedacht wird. Der Umstand des Anschnallens erscheint dabei weniger als ein Zeichen der Sicherheit denn ein Merkmal des Gefangenseins. Es gibt kein Entrinnen. Selbst die Leute in der ersten Klasse müssen sich anschnallen. – Man wird jetzt einwenden, daß auch Stewardessen sich anschnallen müssen. Aber das ist ja bloß eine Behauptung. Wer hat schon je eine angeschnallte Flugbegleiterin oder einen angeschnallten Flugbegleiter gesehen? Echt gesehen? Und insgeheim wissen wir ja ganz gut, daß die Damen und Herren des Flugpersonals während des Starts unangeschnallt bleiben, so wie sie auch gerne hinter zugezogenen Vorhängen stehen und Zigaretten rauchen, die man halt nicht riecht, weil natürlich auch ihre Zigaretten nicht von dieser Welt sind.
    Lukastik betrachtete die beiden Frauen in ihren straffen Kostümen, die jetzt mit einem eisenharten Lächeln die übliche kleine Pantomime vollzogen – Öffnen und Schließen des Sicherheitsgurtes (als wären nicht ohnedies bereits alle angeschnallt), das Schwingen mit den Armen entlang der Wege zu den Notausstiegen, das neckische Ziehen an den Leinen der Sauerstoffmasken…
    Lukastik dachte an Ballett. Modernes Ballett, konzeptuell, kalt, mechanisch, Tanztheater als Strafe.
    Aber er war zufrieden wie noch selten. Seine Hand lag auf jener Alexas. Eine gute Hand, gewissermaßen eine Alte-Meister-Hand. Auch realisierte Lukastik, wie sehr er dadurch selbst gewann. Indem er mit dieser Frau, seiner Schwester, seiner Geliebten, zusammen war. Denn obgleich er als gutaussehend gelten konnte, hatten Frauen seit jeher einen Bogen um ihn gemacht oder ihn schlichtweg ignoriert. Das war jetzt völlig anders. Er spürte die Blicke auf sich, die Blicke der Frauen. Offenkundig gehörte er zu jenen Männern, die erst mittels einer Paarung auch für andere anziehend wurden. So wie manches Kunstwerk nur dadurch interessant anmutet, daß der Künstler vor selbigem posiert. Oder manche geistvolle Aussage erst zu wirken beginnt, wenn ein telegener Vortragender sie ausspricht. Oder manches Auto nie und nimmer einen schicken Eindruck machen würde, würde nicht ein halbnacktes Mädel auf der Motorhaube herumturnen.
    Lukastik war kein Auto und Alexa kein halbnacktes Mädel, aber in gewisser Weise…
    Die beiden hatten eine Dreierreihe für sich. Niemand wagte es, sich dazuzusetzen, so verliebt, wie sie aussahen. Obgleich Alexa sich anfangs geweigert hatte, Richard auf diese Reise zu begleiten.
    »Ich bin weder deine Ehefrau noch deine Sekretärin«, hatte sie erklärt.
    Seine Antwort war gewesen: »Ich brauche dich.«
    Das war eines dieser Argumente, die aus gar nichts bestehen. Bei denen es allein darauf ankommt, wie man sie ausspricht. Mit welcher Stimme man das Nichts des Arguments auffüllt. Ob man den richtigen Ton trifft.
    Richard Lukastik schien ihn getroffen zu haben.
    Als man die Flughöhe erreicht hatte, sah Lukastik an Alexa vorbei aus dem Fenster, machte eine abfällige Bemerkung über das viele Blau da draußen, wandte sich wieder zum

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