Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
fahren und dort Lukastik in sein Büro zu führen. Ein nüchtern und zeitgenössisch gestaltetes Büro, in dem ein blaßtürkises, ungemein flaches und leichtes Sofa die postmoderne Variante eines fliegenden Teppichs bildete. Darüber ein nicht minder flaches und leichtes Gemälde von Cy Twombly. Der Bürotisch bestand aus bläulich gefärbtem Glas, dessen metallene Tischbeine extrem dünn waren. Niemand würde es je wagen, sich gegen diesen Tisch zu lehnen oder sich gar darauf aufzustützen. Passenderweise war er vollkommen leer. Nicht einmal ein Computer war zu sehen, was die Bedeutung Longhis in diesem Haus und dieser Stadt veranschaulichte. Longhi war ein Mann, der sich auch in aussichtslosester Lage geweigert hätte, einen Rechner zu bedienen. Nicht, weil er konservativ war. Für ihn war das eine ästhetische Frage. Computer empfand Longhi als häßlich, selbst die schmalsten noch als unförmig. Und sie zu benutzen als unsportlich. Als würde man mitten in einem Quizspiel nach einem Lexikon greifen (und selbstverständlich wäre er niemals auf die Idee gekommen, den Navigator in seinem Lancia um Rat zu fragen, was dessen Vorhandensein einigermaßen rätselhaft erscheinen ließ).
So ergab sich nun also, daß in diesem hohen, ausgeleuchteten, mittels Glaswand auf die abendliche Mailänder City weisenden Büro zwei Männer standen, die beide ohne Handys und ohne Computer auskamen, geradeso, als wäre man in der Urzeit angelangt. In einer bequemen und zivilisierten Urzeit, in welcher man auf geschwungenen, aprikosefarbenen Stoffsesseln Platz nahm und kein dummes kleines Telefon einen störte.
Eine junge Frau, die optisch mit den Tischbeinen korrespondierte, servierte Kaffee, den sie zwischen die Männer auf eine knöchelhohe Sandsteinplatte stellte. Sie verbog sich dabei, als arbeite sie eigentlich für den chinesischen Zirkus. Als sie gegangen war, nahmen die Männer ihre Tassen und tranken. Minutenlang fiel kein Wort.
»Was machen wir jetzt«, unterbrach Lukastik die Stille.
»Wir warten«, sagte Longhi, sah auf seine Uhr und erklärte, daß zwei Beamte aus Wien auf dem Weg seien, um Lukastik einem Verhör zu unterziehen.
»Was?! Hier in Mailand?« staunte Lukastik.
»Ja, offensichtlich möchte man das an einem neutralen Ort erledigen. Wogegen ich nichts habe. Ich regle gewisse Dinge auch lieber im Ausland.«
Lukastik schaute hinaus auf die Stadt, die im Abendrot einen flehenden, einen betenden Eindruck machte. Wie lauter schwarz gekleidete Frauen, die vor einem Scheiterhaufen knien. Lukastik griff in seine Tasche. »Ich würde Ihnen gerne etwas geben«, sagte er, holte die kleine Plastikfigur hervor und stellte sie hinunter auf den steinernen Couchtisch.
Longhi machte sich nicht die Mühe, seine Position zu verändern, fragte nur, was das sei.
»Ein Colanino-Männchen. Beziehungsweise Äffchen. Ein Äffchen als Mensch verkleidet.«
»Ach Gott, diese Mißgeburt aus dem Überraschungsei, von der Sie sprachen.«
»Ja.«
»Schön und gut. Und hinter diesem Unikum wittern Sie also eine Verschwörung.«
»Sie müssen mir nicht glauben. Ich möchte nur, daß Sie die Figur für mich verwahren.«
»Warum vertrauen Sie mir eigentlich?« fragte Longhi.
»Wem sollte ich sonst vertrauen? Den Kollegen aus Wien, die hier auftauchen werden, um mich in die Pfanne zu hauen? Darauf warten die schon lange. Sie müssen wissen, ich bin zu Hause nicht sehr beliebt.«
Wahre Worte. Lukastik hatte sich in all den Jahren viele Feinde gemacht. In erster Linie darum, weil er unbestechlich war. Nichts wird einem in Österreich übler genommen. – Das ist übrigens eine Wahrheit, die zu erkennen man kein Nestbeschmutzer von Bernhardscher Vehemenz sein muß. Man muß Österreich auch gar nicht hassen, so wie die meisten Österreicher das tun. Man muß nicht übertreiben, nicht karikieren. Man muß nicht verbittert sein, kein Justizopfer oder Mindestrentner. Man muß nicht einmal die Sozialdemokraten verachten. Man muß nur einmal einen Antrag gestellt, ein Amt aufgesucht, in einem Krankenhausbett gelegen, in einem Kaffeehaus eine Bestellung aufgegeben, eine Wohnung gemietet oder in eine schmutzige kleine Erbschaftsauseinandersetzung geraten sein, um diese völlig originäre österreichische Bestechlichkeit zu erleben. Eine rotweißrote Käuflichkeit, die sich von jeder anderen unterscheidet und die jeden Millimeter dieses Landes und jedes einzelnen Kopfes beherrscht. Es ist bemerkenswert, daß ein staatliches Gebilde imstande
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