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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ist, eine Verhaltensweise hervorzubringen, die man als Krankheit begreifen muß, eine Krankheit, die fast jede Person in diesem Land befällt. In dem Moment, da ein Mensch die Landesgrenze nach Österreich überschreitet, erkrankt er augenblicklich: Er wird böse, ungnädig, bedient sich auf raffinierte Weise der Lüge und entwickelt einen permanenten Zustand der Bestechlichkeit. Das gilt natürlich auch für Deutsche. Der Deutsche wird stante pede zum Österreicher, verwandelt sich, als wäre er gebissen worden. Es besteht ein virologischer Vampirismus indigener Bestechlichkeit in diesem Land. Und es wäre ausgesprochen naiv, die Sache damit abzutun, daß es überall gute und schlechte Menschen gibt und daß etwa in fernen Ländern… Das ist bloßes Blabla. Die österreichische Bestechlichkeit ist einmalig und von keinem dahergelaufenen, kulturlosen Dritte-Welt-Land zu übertreffen. Österreich wurde von Gott erfunden, um uns etwas ganz Bestimmtes zu sagen. Wir sollten einmal genau hinhören.
    Daß nun Lukastik sich dieser »göttlichen« Krankheit ständig widersetzte, war schlimm genug. Aber wie er es tat, das war das eigentliche Problem. Eben nicht mit der Attitüde des guten Menschen, des Christen oder Märtyrers oder larmoyanten Abweichlers, sondern mit unglaublicher Arroganz. Eben mit der Arroganz dessen, der sich für gesund hält und alle anderen für infiziert. Was ja auch der Fall war, aber von den anderen selbstverständlich umgekehrt gesehen wurde.
    Diese Arroganz hatte Lukastik stets mit den Mitteln eines gewissen guten Geschmacks und einer gewissen Bildung zu untermalen verstanden. Darum ja auch seine frühere Wittgensteinliebe, seine Kenntnis der Künste, auch seine Fremdwortbegeisterung, weil ja nichts so gut der Erniedrigung des Gegenübers dient, als ein Wort zu benutzen, welches dieser nicht versteht. Dazu paßte auch bestens, daß Lukastik aus einer Diplomatenfamilie stammte. Und am allerbesten paßte – auch wenn dies nie offiziell geworden war und bloß auf eine vage Weise ruchbar –, daß Lukastik seine Schwester liebte. Geschwisterliebe war literarisch, Geschwisterliebe war Dekadenz des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts, Geschwisterliebe war Musil. Ein richtiger Österreicher aber, der beschritt alle möglichen sexuellen Sonderwege, doch von der eigenen Schwester – wenn sie nämlich einmal erwachsen war –, ließ er die Hände, als wäre sie seine Mutter oder Schlimmeres.
    Nein, Lukastik hatte sich immer wieder über das Österreichische gestellt und war dabei blasiert und selbstherrlich vorgegangen. Als wäre er unverwundbar. Und genau darum würde es nun gehen, ihm zu zeigen, wie wenig seine angebliche Unverwundbarkeit taugte.
    Als die zwei österreichischen Beamten eintrafen, erhob sich Longhi und begrüßte sie in Hausherrenart.
    »Kann ich Ihnen etwas bringen lassen?« fragte Longhi.
    Die beiden verneinten, erkundigten sich jedoch, ob sie rauchen dürften.
    »Tut mir leid«, sagte Longhi, »aber das vertragen die Möbel nicht. Lauter Originale.«
    Die beiden Wiener Polizisten betrachteten das Sofa und die beiden F-598-Sessel von Pierre Paulin mit ängstlicher Verachtung, meinten aber, da könne man eben nichts machen. Jedenfalls bedanke man sich, daß Longhi so rasch gehandelt und Lukastik unverzüglich in Gewahrsam genommen habe.
    »Das war keine Hexerei«, erklärte Longhi. »Ihr Chefinspektor saß in meinem Wagen. Und es gibt wirklich keinen Streifenpolizisten in dieser Stadt, der dieses Auto nicht erkennen würde.«
    Die beiden Wiener waren verwirrt. Wovon war eigentlich die Rede? Also beeilten Sie sich zu erklären, daß sie jetzt gerne eine Befragung Lukastiks durchführen wollten.
    »Aber selbstverständlich«, sagte Longhi und machte sich daran, den Raum zu verlassen. Vorher jedoch beugte er sich zu der viereckigen Sandsteinplatte hinunter und griff nach der kleinen Colanino-Figur. Er tat dies ganz selbstverständlich, als nehme er bloß seinen Wagenschlüssel. Verlor auch kein Wort darüber und verließ den Raum.
    Lukastik kannte die zwei Beamten nicht, die man mit dieser heiklen Aufgabe betraut hatte. Jung und ehrgeizig und nicht einmal richtig blöd. Sie behandelten ihn mit dem gebührenden Respekt, gleichzeitig war schnell klar, daß sie nicht hier waren, um entlastendes Material zusammenzutragen. Tatsächlich standen die Karten schlecht für Lukastik, auch wenn man natürlich sagen mußte, daß diese Karten auffallend schlecht standen. Die

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