Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
nicht wirklich etwas sagen. Sie betonte, Giorgio sei »nicht einmal« besonders religiös gewesen. Es klang, als spreche sie von einer niederen Entwicklungsstufe. Dazu passend – und entgegen seinem nagetierartigen Aussehen– hatte Giorgio Straub unter den Taxikollegen den Spitznamen »Qualle« getragen. Warum genau, konnte niemand sagen. Aber Qualle stand wohl auch dafür, daß keiner etwas mit diesem Mann zu tun haben wollte. Auf eine undefinierbare Weise hatte er als gefährlich gegolten. Kein Schläger, kein Mafiatyp, nichts davon, kein Raubtier eben, sondern ein Nesseltier. Um Nesseltiere macht man Bögen. Wie es schien, hatte die ganze Welt um Giorgio Straub einen Bogen gemacht. Nur seine unwissenden Taxikunden nicht.
Olander fuhr mit der Linea Rossa zum QT8, um sich die Wohnung Giorgio Straubs anzusehen, in die ein Sohn von Straubs Schwester gezogen war, ohne daß viel verändert worden war.
»Was suchen Sie eigentlich?« fragte die Schwester, die vor dem Haus auf ihn gewartet hatte. Was sie tat, tat sie nicht umsonst. Olander hatte ihr Geld gegeben, um in die Wohnung zu kommen. Und noch einmal Geld dafür, sich umsehen und herumkramen zu dürfen.
Nun, Olander wußte nicht, was er suchte. Und glaubte ja auch nicht wirklich, daß der tote Taxifahrer in irgendeiner Verbindung zu der Entführung Claras stand. Wie denn auch? Andererseits durfte Olander nichts auslassen von dem wenigen, was er tun konnte. Wie gesagt, er mußte sich in den Weg stellen . Und darum sah er sich in der engen, muffigen, mit verstaubten Polstermöbeln, verstaubten Nachtschattengewächsen und allerlei Krimskrams vollgeräumten Wohnung um, stöberte in Schubladen und durchforschte Schränke. Denn von einem konnte er ja ausgehen, daß Giorgio Straub nicht hatte ahnen können, sterben zu müssen. Somit auch keine Zeit gehabt hatte, irgend etwas verschwinden zu lassen.
Aber Olander fand nichts, nichts von dem, was er gehofft hatte, zu finden, etwa eine Tüte mit verdächtig viel Geld, ein Adreßverzeichnis, ein Tagebuch, dubiose Unterlagen, das Foto einer jungen Frau in einem geblümten Kleid, etwas von dieser Sorte. Im Grunde nahm er nur darum etwas mit, um nicht mit leeren Händen aus der Wohnung zu gehen. Um nicht völlig umsonst Straubs Schwester die Geldscheine auf die Hand gelegt zu haben. – Mein Gott, wie haßte er diese raffgierigen Weiber. Überall gab es sie, und überall waren sie gleich. Nichts in der Welt stand derart über den Kulturen, bildete eine derartige Homogenität, wie diese Frauen, die alles an sich zogen. Ganz gleich, ob eine tatsächliche Not vorlag oder das Gegenteil. Es ging ihnen ja nie ums Geld allein, um die Möbel, die Bilder, das Erbe, die Schale Reis, das Brot im Mund der anderen, sondern darum, im Recht zu sein. Sie dachten sich: Ich bin, also bin ich im Recht. In Mailand, in Beverly Hills und auch dort, wo Menschen verhungerten. Diese Weiber bildeten sehr viel mehr ein Netz, als das gute Internet es je schaffen würde.
Vinzent Olander griff nach einer kleinen Figur, die zwischen vielen anderen auf einem schmalen, länglichen Tischchen stand. Er tat dies heimlich, natürlich, denn auch dafür hätte Straubs Schwester gewiß einen Obolus verlangt. Wenn sie das Ding überhaupt hergegeben hätte. Nicht, daß es eine wertvolle Figur zu sein schien. Nichts in dieser Wohnung war nur annähernd wertvoll. Aber Olander meinte die Figur zu kennen, von irgendwoher: eine kleine, hölzerne Giraffe, nur wenige Zentimeter hoch, simpel gestaltet. Was Olander nun so bekannt vorkam, war der Umstand, daß dieser Giraffe ein Ohr fehlte, wenn es denn ein Ohr war und nicht eins dieser kurzen, stumpfen Hörner, welche Giraffen ja ebenfalls besitzen. Was es auch immer war, es fehlte, mußte heruntergebrochen sein. Allerdings konnte Olander nicht sagen, woran ihn diese Figur sonst noch erinnerte. Was sie zu bedeuten hatte. Wahrscheinlich nicht viel. Holzgiraffen mit abgebrochenen Ohren oder Hörnern tauchten immer wieder auf, in Kinderzimmern, auf Flohmärkten, in Trödelläden und im Falle wertvoller Exemplare auch in Völkerkundemuseen. Nichts, was einen aufregen mußte. Selbst wenn Clara eine solche Figur besessen hatte. Na und? Millionen kleiner Giraffen bevölkerten die Welt.
Aber dieses Ding war nun mal das einzige hier, welches Vinzent Olander einen kleinen Stich versetzte. Und auf diesen Stich verließ er sich, täuschte eine ungeschickte Bewegung vor, lenkte den kontrollierenden Blick von Straubs Schwester in eine
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