Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
auf die Idee, auch die Polizei nicht, in meinem Privatleben zu schnüffeln, nur weil ich ein brennendes Auto gelöscht habe. Bei den meisten Menschen gilt das eher als gute Tat.«
»Sie wollen also auf meine Frage nicht antworten.«
»Ich könnte Ihnen irgend etwas erzählen, zum Beispiel, daß ich zu einem Kunden gefahren bin, daß ich zum Einkaufen war, daß ich meinen Sohn vom Botanischen Garten abholen wollte.«
»Ich würde das überprüfen.«
»Und genau darum gebe ich Ihnen keine Antwort. Weil Sie das einfach nichts angeht, auch wenn die Antwort eine völlig harmlose ist.«
»Das glaube ich nun nicht mehr«, meinte Olander.
»Da kann ich Ihnen auch nicht helfen«, sagte der Mann und bat Olander zu gehen.
Am nächsten Morgen bestellte Longhi Olander zu sich und erklärte ihm, daß er nicht wünsche, daß Olander sich derartige Eigenmächtigkeiten anmaße.
»Wenn Sie mein Kind nicht finden«, rechtfertigte sich Olander, »werde ich es finden. Und dazu werde ich mir jede Eigenmächtigkeit anmaßen, die mir in den Sinn kommt.«
»Soll ich Sie ausweisen lassen?« fragte Longhi und verschränkte seine Arme.
Anstatt auf die Drohung einer Ausweisung zu reagieren, fragte Olander, was der Mann mit dem Feuerlöscher in der Innenstadt verloren hatte.
»Sie sagen das so«, analysierte Longhi, »als sei es verboten, nachmittags durch das Zentrum von Mailand zu fahren.«
»Wollen Sie mir jetzt ebenfalls eine Antwort verweigern?«
»Genau das. Ich muß nämlich die Privatsphäre eines Mannes schützen, der ja nichts verbrochen hat, im Gegenteil, dem Sie Ihr Leben verdanken.«
»Und der mich belastet.«
»Er belastet Sie nicht. Er ist sich in einem bestimmten Punkt unsicher, in dem Sie sich sicher sind. Oder vorgeben sicher zu sein. Sie belasten maximal sich selbst, indem Sie diesen Mann nicht in Frieden lassen und ihm irgendeine dubiose Rolle unterschieben wollen.«
»Warum schützen Sie ihn?«
»Ich sagte Ihnen schon, ich schütze die Privatsphäre von jemand, der mit der Entführung Ihres Kindes nichts zu tun hat. Sie verrennen sich in Ihrer Verzweiflung. Ich kann das verstehen, aber nicht zulassen. Ihre Verzweiflung stellt Sie nicht ins Recht über andere.«
»Ich werde tun, was ich tun muß.«
»Hoffentlich nicht«, sagte Longhi. Aber das sagte er nur so. In Wirklichkeit verstand er Olander, er verstand alle Leute, die nach ihren Kindern suchten und dabei auf die Polizei und das Gesetz pfiffen. Longhi wünschte bloß, daß Olander sich dabei nicht allzu ungeschickt anstellen würde.
Natürlich ging der Fall durch die Medien. Doch das, was durch die Medien geht, geht praktisch durch eine Zerkleinerungsmaschine, wird unwichtiger und unwichtiger. Kinder verschwinden eben. Und wenn sich niemand meldet, um irgendeine Forderung zu stellen, wird die Sache in jene Kategorie von Fällen abgelegt, deren Ende man sich ungern ausmalt.
Olander übergab seine Geschäfte an einen Kompagnon und mietete eine kleine Wohnung in der Nähe des Unfallortes. Er wurde zu einem dieser von alptraumhaften Tagträumen und nächtlicher Ruhelosigkeit gequälten Menschen, die immer ein bißchen verwahrlost wirken, auch noch in bester Kleidung. Und welche stets einen leicht alkoholisierten Eindruck hinterlassen, ganz gleich, ob sie nüchtern oder schwer betrunken sind. Sie haben trotz des schlimmen Schicksals, das sie tragen, etwas Leichtes, Schwebendes an sich. Was wohl damit zusammenhängt, daß sie mit einem Bein bereits im Jenseits stehen.
Doch so jenseitig Olanders Wesen anmutete, so hartnäckig war sein Wille. Er marschierte Tag für Tag durch die Stadt, in der wilden Hoffnung, daß dieselbe Macht, die ihm an einem bestimmten Tag sein Kind geraubt hatte, ihm dieses Kind auch wieder zurückgeben würde, wenn er nur beharrlich genug darauf wartete. Beziehungsweise versuchte er, sich dem Schicksal in den Weg zu stellen, gleich einer Konstruktion, deren Aufgabe darin besteht, hypothetische, durch alles durchdringende Teilchen einzufangen.
Olander suchte sämtliche Leute auf, die irgendwie mit der Sache zu tun hatten, die Polizisten, die Zeugen, die Leute von der Rettung, auch die Verwandten des Taxifahrers, der offensichtlich ein einsamer Mann gewesen war, mit einer kleinen Wohnung im Quartiere T8, einer Wohnhausanlage am Ippodromo San Siro. Es war schwer, etwas über diesen nie verheirateten, kinderlosen Mann in Erfahrung zu bringen, dessen Vorfahren väterlicherseits aus Süddeutschland stammten. Auch seine Schwester konnte
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